Nansook Hong – Ich schaue nicht zurück, Teil 2


Die Mun- und Hong-Familien. Von links nach rechts: Jin-Whi Hong (war verheiratet mit Ye-Jin, geschieden, verließ die FFWPU), Frau Gil-Ja Yu Hong (Mutter von Jin-Whi und Nansook, verließ FFWPU), Mun, Hyo-Jin (geschieden, starb mit 45 an Herzproblemen, die durch seine Drogenabhängigkeit verursacht worden sein könnten), Nansook Hong (ließ sich von ihrem Ehemann, der sie mißbraucht hatte, scheiden und verließ die FFWPU), Hak Ja Han, Sung-Pyo Hong (Vater von Jin-Whi und Nansook; Gründer des Il Hwa Gesellschaft, die eine große Einkommensquelle für die Mun-Familie ist, er wurde häufig in der Öffentlichkeit von Mun gedemütigt, verließ die FFWPU) und Ye-Jin Mun (geschieden, zwiespältiges Verhältnis zu Religion und zur Organisation ihrer Eltern).


3. Kapitel

Die Kunstschule Little Angels gehört zu den besten Schulen für kreative und darstellende Kunst in Südkorea. Sie gehört der Vereinigungskirche, aber es gibt keine äußeren Anzeichen dafür, daß diese Schule, die Grund- und höhere Schule in sich vereint, in irgendeinem Bezug zu Sun Myung Mun steht. Die meisten Lehrer und der Großteil der Schüler sind keine Munies. Religion steht nicht auf dem Lehrplan.

Wie so viele Institutionen, die Mun weltweit betreibt, spielt die Little Angels Art School ihre Beziehung zu einer religiösen Sekte, die auch in der Heimat ihres Gründers immer noch mit großem Mißtrauen beäugt wird, bewußt herunter.

Ich kam in der sechsten Klasse auf diese Schule, die mein Bruder Jin bereits besuchte. Anfangs wurden dort nur Schüler der Klassen sieben bis zwölf unterrichtet, aber inzwischen wurde das Angebot auch auf Grundschulklassen ausgeweitet.

Die Schule befand sich in einem Randbezirk von Seoul, etwa fünfzehn Meilen von unserem Zuhause entfernt. Jin und ich gingen immer um 7.00 Uhr zu Hause los und nahmen den Citybus 522. Die Busse waren immer überfüllt mit Erwachsenen auf dem Weg zur Arbeit sowie mit Studenten, die schwere Taschen mit sich herumtrugen. Häufig fuhren ersteinmal vier oder fünf Busse vorbei, ohne zu halten, da sie bereits zu voll waren, um auch nur zwei weitere Fahrgäste mitzunehmen. Wir hätten uns lieber der Gefahr des Erstickungstodes ausgesetzt als die Busse vorbeifahren zu sehen.

Zuspätkommen wurde in der Schule nicht geduldet. Ein Schüler, der nicht rechtzeitig zum Unterricht erschien, mußte dreißig Minuten mit erhobenen Armen auf einer Betonbank vor dem Büro des Direktors sitzen. Anschließend mußte er dann ein Entschuldigungsschreiben an seinen Lehrer und seine Klassenkameraden verfassen wegen der Störung, die sein Zuspätkommen verursacht hatte.

Auf dem Weg zu und von der Bushaltestelle bestand Jin immer darauf, daß ich ein paar Schritte hinter ihm blieb. In Begleitung seiner kleinen Schwester gesehen zu werden, war einem Jungen im Teenageralter in Seoul genauso peinlich wie überall auf der Welt. Ich gehorchte, ohne zu murren. Ich hegte für meinen Bruder einen förmlichen Respekt, der meine Freunde außerhalb der Kirche erstaunte und belustigte. Wenn ich ihn ansprach, benutzte ich sogar die Anrede, die koreanische Kinder Erwachsenen Vorbehalten.

In vielerlei Hinsicht ähnelte meine Beziehung zu meinem Bruder jener zu meinen Eltern. Die koreanische Kultur ist sehr streng und patriarchalisch. Mein Vater war ein anständiger Mann, aber Gleichberechtigung war für ihn ein Fremdwort. Er war das unangefochtene Oberhaupt unserer Familie. Seine Position wurde von den Lehren der Vereinigungskirche noch gestärkt. Eine Ehe basiert zwar auf gegenseitigem Respekt, aber die Frau nimmt ihrem Ehemann gegenüber eine »Objektstellung« ein, sowie die Menschheit gegenüber Gott eine »Objektstellung« einnimmt. Ich stellte die Machtverteilung zwischen meiner Mutter und meinem Vater nie in Frage und richtete unbewußt mein Verhalten meinem Bruder gegenüber nach ihrem Vorbild.

Als ich auf die Mittelschule kam, waren Sun Myung Mun und seine Familie bereits in die Vereinigten Staaten ausgewandert. 1971 gab Gott ihm ein, er solle nach Amerika übersiedeln, weil die Vereinigten Staaten am Rande eines moralischen Zusammenbruchs stünden ähnlich jenem, der Rom im ersten Jahrhundert vernichtet hatte.

Er ging nach Amerika, um das Land vor sich selbst zu retten. Er predigte seine eigene Version des fanatischen Antikommunismus und moralischen Fundamentalismus. Er führte Rekrutierungen überall in den Vereinigten Staaten durch und fand reichlich Zulauf seitens der verunsicherten Jugendlichen im amerikanischen Generationenloch, jungen Menschen, die weder mit ihren Eltern noch mit Gleichaltrigen etwas anfangen konnten. Ihr Eintritt in die Vereinigungskirche erfolgte meist durch die CARP, die Collegiate Association for the Research of Principles.

Die CARP wurde 1973 in den Vereinigten Staaten gegründet, auf dem Höhepunkt der Proteste gegen die Ausweitung des Vietnamkrieges auf Kambodscha und Laos. Sun Myung Muns eindringliche Warnungen vor der kommunistischen Gefahr fielen weitgehend auf taube Ohren bei den amerikanischen Studenten, die sich vom Imperialismus ihres eigenen Landes abgestoßen fühlten. CARP-Rekrutierer wandten sich gezielt an die Idealisten und Einsamen an den Colleges; Studenten, die zu konservativ oder unpolitisch waren, um sich in der Antikriegsbewegung zu engagieren, fanden oft eine Aufgabe bei CARP.

Typisch für diese Mitglieder waren beispielsweise die Dutzende ordentlich gekleideter junger Menschen, die während des Watergate-Skandals vor dem Weißen Haus für Präsident Richard M. Nixon einen Tag lang beteten und fasteten. Sie hielten Schilder hoch, auf denen stand »Forgive, Love, Unite«. Man traf sie in der Washington Mall und am Rand von Antikriegsdemonstrationen, wo sie für den Patriotismus eintraten und den Mut Präsident Nixons angesichts seiner gottlosen Kritiker lobten.

Wenn die CARP-Mitglieder in den USA nicht gerade einem in Bedrängnis geratenen Präsidenten Mut zusprachen, verkauften sie an Universitäten, an Straßenecken, Flughäfen und Einkaufszentren Blumen, um Geld für Sun Myung Mun und seine göttliche Mission aufzubringen.

»Der Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg war an sich noch kein Endpunkt. Vom schicksalhaften Standpunkt aus diente er dazu, Amerika und die Welt auf die Ankunft des Zweiten Messias vorzubereiten«, hat Sun Myung Mun geschrieben. »Was ist geschehen? Die Vereinigten Staaten haben diese Vision nicht erkannt. 40 Jahre lang ist dieses Land den Weg der Laxheit, der Vergnügungssucht und der Zerstörung gegangen. Drogen haben das ganze Land unterhöhlt; junge Menschen wurden korrumpiert und mehr und mehr in die Kriminalität gedrängt; freier Sex ist zu einer Lebensart geworden. Aber diese Entwicklung hat sich nicht auf die USA beschränkt. Als führende Macht der freien Welt haben die Vereinigten Staaten alle mit ihren Krankheiten angesteckt. Wenn dieser Trend nicht gestoppt wird, muß die ganze Welt unweigerlich zugrunde gehen.«


Belvedere-Anwesen

Der einzige, der die Apokalypse aufhalten konnte, war selbstverständlich Sun Myung Mun selbst. Zu diesem Zweck bezog Mun zusammen mit seiner wachsenden Familie ein großes Haus in dem malerischen Ort Tarrytown im Hudson River Tal in New York. 1972 erwarb er dann fast 10 Hektar Land in Westchester County für 850 000 Dollar. Das Belvedere-Anwesen gehörte zu den architektonischen Schmuckstücken der Gegend. Das Stuckgebäude war 1920 gebaut worden und verfügte über 16 Schlafzimmer, sechs große Wohn- und Speisezimmer, zehn vollausgestattete Bäder sowie eine Großküche und war darüber hinaus voll unterkellert. Das Anwesen war von weiten Rasenflächen, altem Baumbestand und einem über 4000 Quadratmeter großen künstlich angelegten Teich mit Holzbrücke und Wasserfall umgeben. Es gab einen Swimmingpool und mehrere Tennisplätze. Von der natursteingepflasterten Sonnenterrasse im zweiten Stock aus hatte man einen atemberaubenden Blick auf den Hudson River.


Belvedere

Auf dem Grundstück standen noch fünf weitere Gebäude, darunter ein Gästehaus, das nur geringfügig kleiner war als das Herrenhaus; es umfaßte zehn Schlafzimmer, drei Bäder und zehn Wohnräume. Hinzu kamen ein Fachwerkcottage aus dem Jahre 1735 mit fünf Schlafzimmern, ein Gärtnerhäuschen, ein Künstleratelier, ein Sport- und Freizeitgebäude, eine 360 Quadratmeter große Garage und drei weitläufige Gewächshäuser.


East Garden

Ein Jahr später kaufte Mun ein zweites, acht Hektar großes Anwesen in der Nähe von Belvedere für 566 150 Dollar. Mittelpunkt diese Anwesens war ein dreistöckiges Backsteinhaus mit zwölf Schlafzimmern, sieben Bädern, Wohnzimmer, Speisezimmer, Arbeitszimmer, Küche und einem riesigen Wintergarten auf der Westseite. Sun Myung Mun nannte das Anwesen East Garden, als er und seine Familie dort einzogen. Die Muns behielten eine Zimmerflucht in Belvedere für sich, benutzten jenes Anwesen jedoch in erster Linie, um dort Gäste unterzubringen und Kirchenveranstaltungen abzuhalten.

East Garden, von dem aus man ebenfalls einen malerischen Blick auf den Hudson River hatte, umfaßte noch mehrere kleinere Gebäude. Ein Wachhäuschen stand an der Zufahrt zur Sunnyside Lane, und ganz in der Nähe befand sich ein Pförtnerhaus mit zwei Schlafzimmern, Bad, Wohnzimmer, Küche und einem kleinen Keller. Vom Haupthaus aus hügelaufwärts gesehen, stand ein hübsches Steinhaus mit zwei Schlafzimmern, Bad, Wohnzimmer, Eßzimmer, Arbeitszimmer und Küche. Es wurde mit Cottage House bezeichnet.

New York wurde zur Basis von Muns Imperium, aber er reiste weiterhin regelmäßig nach Korea. Bei diesen Gelegenheiten besuchten er oder einer seiner höheren Angestellten manchmal die Little Angels Art School. Diese Besuche waren immer Anlaß zur Freude, einerseits wegen der Unterbrechung des Unterrichts, andererseits wegen der sich bietenden Gelegenheit, einen Blick auf den Mann zu erhaschen, den wir alle als den wohlhabenden Gönner der Schule betrachteten und einige von uns darüber hinaus als den neuen Messias.

Koreanische Schulen entsprechen weitgehend jenen in Japan und der Pazifikküste. Es wird großer Wert gelegt auf Auswendiglernen und Drill. Bei Abschluß der Schule beherrschte ich komplizierte mathematische Aufgaben, konnte jedoch nicht kritisch denken. Diese Fähigkeit wurde weder gelehrt noch geschätzt. Der kindliche Verstand wurde als leeres Gefäß betrachtet, das es mit Wissen zu füllen galt. Wir waren Ton, den es zu formen galt, Skulpturen, die noch modelliert werden mußten. Das galt ebenso für unsere moralische wie für unsere intellektuelle Entwicklung. Das Schulsystem, das in Little Angels nicht anders war als im übrigen Korea, legte großen Wert auf Respekt vor Autorität; Konsens und Konformität, Gehorsam und Akzeptanz wurden groß geschrieben. Die Schule bereitete uns perfekt auf das Leben innerhalb einer autoritären Religion vor, die keinen Widerspruch duldete.

Da ich ein diszipliniertes Kind war, fielen mir akademische Fächer und Musik leicht. Nach koreanischem Standard war ich eine gute Schülerin. Ich spielte Klavier sehr pflichtbewußt, jedoch mit einer Emotionslosigkeit, die meine Mutter schmerzte. Ich habe ihre Leidenschaft für dieses Instrument leider nicht geerbt. In der dritten und der sechsten Klasse gewann ich von der Schule organisierte Klavierwettbewerbe, aber die Konzertbühne war ein Traum meiner Mutter, nicht der meine.

Im November 1980 erfuhren wir zu unserer Freude, daß die tägliche Schulroutine von einem Besuch Bo Hi Paks unterbrochen werden würde, eines engen Beraters Reverend Muns. Mun war inzwischen zum Liebling der konservativen Republikaner in den USA geworden. Er hatte die Kunst perfektioniert, sich mit möglichst vielen prominenten politischen Führern der Welt ablichten zu lassen, Bilder, die uns dann als Beweise für den wachsenden Einfluß des Vaters in der Welt präsentiert wurden.

An jenem Tag in Little Angels berichtete Bo Hi Pak von Vaters Einfluß auf den Ausgang der kürzlich erfolgten amerikanischen Wahlen. Eine Photographie von Präsident Ronald Reagan auf der Titelseite einer von Muns Zeitungen, der News World, die seinen überwältigenden Erfolg verkündete, wurde an die Wand projiziert, während Bo Hi Pak zu uns sprach. Ich muß gestehen, daß ich dem Inhalt seiner Rede keine große Aufmerksamkeit schenkte. Ich war dreizehn Jahre alt und in der achten Klasse. Internationale Politik interessierte mich nicht. Was ich von Amerika wußte, hatte weniger mir Politik zu tun als mit Mode, Musik, Kinofilmen und Popkultur.


Präsident Ronald Reagan

Während des Vortrags wurde ich von dem Geplapper meiner besten Freundin Hae Sam Hyung abgelenkt, die neben mir saß. Hae Sams Eltern hatten der Gruppe von 72 Paaren angehört, die kurz nach meinen eigenen Eltern den Hochzeitssegen empfangen hatten. »Du weißt es noch nicht, aber du sollst mit Hyo Jin Kim verheiratet werden«, flüsterte sie, während Bo Hi Pak seinen eintönigen Monolog fortsetzte. Ich unterdrückte ein Lachen. »Das ist lächerlich«, sagte ich. Woher sollte sie so etwas wissen? Zwar kursierten immer Gerüchte darüber, wer auserwählt werden würde als Ehegatte eines der Wahren Kinder, aber diese Entscheidungen wurden von Reverend Mun getroffen und nicht von kichernden Schulmädchen.

Zwei Jahre später erschien mir die Vorstellung immer noch lächerlich. Ich hatte in meinem ganzen Leben nur ein paar Worte mit Hyo Jin Mun gewechselt. Es gab viele Gesegnete Kinder seines Alters, die geeignetere Ehegatten für ein 19jähriges Wahres Kind abgeben würden als ein 15jähriges Mädchen wie ich. Ich kannte Hyo Jin nicht besonders gut, hatte aber genug gehört, um zu wissen, daß er das schwarze Schaf der Mun-Familie war. Er war noch in der Grundschule, als die Muns nach Amerika übersiedelten. In Korea war er ein gewissenhafter aber lustloser Schüler gewesen. Peter Kim, Muns persönlicher Assistent, wurde zum Privatlehrer des jungen Erben. Hyo Jin schwor sich, daß er in Amerika mehr Freiheit haben würde als in Seoul.

Die Umstellung nach dem Umzug in die Staaten fiel ihm nicht leicht. Auf dem Mun-Anwesen in Tarrytown verlief das Leben noch isolierter als es in Seoul der Fall gewesen war. Daheim wurden die Mun-Kinder der Obhut von Kirchenältesten und Kinderfrauen überlassen; in der Schule waren sie absolute Außenseiter.

Sie besuchten die Privatschule Hackley, wo sie als Munies verspottet oder rundheraus verachtet wurden. Hyo Jin wurde mitten im Schuljahr der Schule verwiesen, weil er eine Waffe in die Schule mitgebracht und auf mehrere Klassenkameraden geschossen hatte. Hyo Jin behauptete, der Direktor hätte ihn als ehrlich und amüsant betrachtet, weil er zugab, daß sein einziger Grund für diese Tat Spaß an der Freude gewesen war. Trotzdem wurde er hinausgeworfen. Nach seinem Rausschmiß hatte er schreckliche Angst vor der Reaktion seines Vaters. Hätte Mun seinen Sohn damals entsprechend bestraft, hätte er uns allen möglicherweise viel Leid erspart. Statt dessen behandelte Mun Hyo Jin, als wäre dieser Opfer religiöser Verfolgung geworden. Diese Entschuldigung schob er zeitlebens vor, um keine Verantwortung für Hyo Jin zu übernehmen.

Mun und seine Frau waren nur selten zu Hause, und wenn sie einmal nicht irgendwo auf der Welt unterwegs waren, um für die Kirche zu werben, ignorierten sie ihre Kinder. Hyo Jin war ein besonders schwieriges Kind. Von Muns ältestem Sohn wurde erwartet, eines Tages den Platz seines Vaters an der Spitze der Kirche einzunehmen. Aber ein langhaariger Rockgitarrist, der sich ständig angegriffen fühlte, entsprach nicht Muns Vorstellungen von seinem Nachfolger.

Nachdem Hyo Jin aus Hackley hinausgeworfen worden war, quartierte Mun ihn bei Bo Hi Pak, einem seiner ersten Jünger, in McLean ein, einem wohlhabenden Vorort in Virginia, ganz in der Nähe von Washington DC. Sun Myung Mun meinte, die Erziehung der Kinder des Messias sei Sache seiner Anhänger. Immerhin hatte Mun selbst mit dem Rest der Welt genug zu tun. Eine seltsam anmutende Einstellung für einen Mann, der sich als Mustervater der vollkommenen Familie bezeichnete, und niemand empfand die Diskrepanz stärker als Hyo Jin Mun.

In Washington verschlechterte sich Hyo Jins Benehmen nur noch mehr. In der großen öffentlichen Schule, die er dort besuchte, prügelte er sich mit Mitschülern oder stellte Schlimmeres an. In Washington kam er auch das erste Mal mit illegalen Drogen in Berührung.

»Nach Washington zu gehen und East Garden zu verlassen war sehr aufregend für mich«, teilte Hyo Jin 1988 bei einem Vortrag vor Kirchenmitgliedern mit. »Vater hatte mir verboten, mit Jugendlichen von außerhalb zu verkehren, aber ich wollte den Kontakt mit Menschen außerhalb unserer Gemeinschaft. Ich sah hierin eine Chance, Freunde zu finden. Ich dachte nicht darüber nach, was Vater wollte, es war mir egal. Ich wollte meine eigenen Freunde.

Nach meinem Umzug nach Washington fing ich an, Drogen zu nehmen. Ich wollte mich nicht länger von irgendwelchen Schlägern tyrannisieren lassen. Wenn man auf der High-School ist, muß man mit den Fäusten umgehen können. Ich fing an, Kampfsport zu betreiben. Ich wollte mir von niemandem mehr etwas gefallen lassen. In der Schule gab es verschiedene Gangs. Aber die, die die Kontrolle hatten, waren am stärksten. Wenn sie mich sahen, sahen sie nur den »Reisfresser«, so daß ich in viele Prügeleien verwickelt wurde. Je mehr ich kämpfte, desto öfter gewann ich. Dann wollten die anderen plötzlich meine Freunde sein. Ich hatte mir einen Ruf erworben und Respekt verschafft.«

Frustriert schickte Mun Hyo Jin zurück nach Korea, in der Hoffnung, daß die Kontrolle der Kirchenältesten innerhalb seiner eigenen Kultur ihn zur Vernunft bringen würde. Es funktionierte nicht. Hyo Jin bot mit seinem langen schmutzigen Haar und den engen Bluejeans einen ungewohnten Anblick auf den Fluren von Little Angels. Er gründete eine Rock ’n’ Roll-Band und erwarb sich einen Ruf als Rebell.

Es war schon schwer genug, als Jugendlicher einer mit Mißtrauen beäugten religiösen Sekte anzugehören, aber Hyo Jins Aussehen und Benehmen machten es uns anderen noch schwerer. Wir schämten uns seiner vor Nichtmitgliedern. Unser eigener musikalischer Geschmack tendierte mehr zur Klassik. Erschwerend kam hinzu, daß er Vaters strengem Verhaltenskodex mit Verachtung begegnete. Jeder in der Schule wußte, daß Hyo Jin rauchte, Freundinnen hatte und Alkohol trank. Es wurde sogar gemunkelt, er nehme Drogen. Er legte nie die Abschlußprüfung an der Little-Angels-Schule ab; Jahre später schickte die Schule ihm einfach sein Diplom.

Unter den 36 Gesegneten Paaren, den ersten Mitgliedern der Kirche, wütete ein erbitterter Konkurrenzkampf; alle wollten eine ihrer Töchter mit Hyo Jin Mun verheiraten. Die persönliche Stellung innerhalb der Kirche richtete sich unmittelbar nach der eigenen Nähe zu Sun Myung Mun. Mit ihm verschwägert zu sein war das höchste Ziel, das ein Kirchenmitglied sich erträumen konnte. Mr. Und Mrs. Young Kim beispielsweise erwarteten aufgrund ihres Status als eines der ersten drei Paare, daß ihre älteste Tochter, Un Sook Kim, als Braut für Hyo Jin ausgewählt würde. Young Whi Kim war damals Vorsitzender der Vereinigungskirche in Korea. Ironischerweise verboten sogar jene Paare, die sich wünschten, daß eine ihrer Töchter Hyo Jin heiratete, ihren Kinder beiderlei Geschlechts den Umgang mit ihm – wegen seiner Vorliebe für Sex, Drogen und Rock ’n’ Roll. Was Hyo Jin betraf, hatte er mit einer »spirituellen« Heirat nichts am Hut.

»Als ich nach Korea zurückkehrte, ging ich mit zahlreichen Mädchen aus«, gestand er in seiner eben erwähnten Rede. »Eins der Mädchen hatte ich besonders gern und wollte es heiraten. Ihre Eltern waren hiervon recht angetan; sie meinten, Vater hätte viel Geld. Sie ermutigten uns und luden mich zu sich nach Hause ein. Sie waren sehr nett zu mir. Das Mädchen und ich standen uns sehr nah, wir lebten praktisch zusammen. Ich hatte Sex mit ihr. Ich wollte alles in meiner Macht Stehende tun, um bei ihr zu bleiben. Ich wollte sie heiraten oder keine. Nach der Schule schlief ich bei ihr oder sie bei mir. Das ging während der gesamten Zeit auf der High-School so.

Ich trank täglich eine Flasche Whisky. Wenn ich kein Geld hatte, kaufte ich billigen, starken Weizenwhisky. Ich mußte ständig betrunken sein … ich war ganz unten. Ich lauschte meinem weinenden Herzen. Ich hatte das Gefühl zu ersticken. Ich wollte mich umbringen. Wie sollte ich Vater je wieder unter die Augen treten? Ich dachte mir, es wäre das Beste, einfach zu verschwinden, dann würde ich niemandem mehr zur Last fallen. Viele Male saß ich da und hielt mir eine Pistole an den Kopf, probte gewissermaßen den Ernstfall. Mir ging es nur um meinen physischen Leib. Ich war schlimmer als andere Jugendliche. Ich war so körperbezogen und egoistisch. Es war mir egal, ob ich andere Menschen verletzte. So war ich als Heranwachsender.«

Was wußte ich schon von Jungen, ganz zu schweigen von Jungen wie Hyo Jin Mun? In Korea besuchen Mädchen und Jungs normalerweise getrennte Schulen. In Little Angels, einer Kunstschule, die eine große Überzahl weiblicher Schüler anzog, gab es einige wenige Jungen, die sich jedoch von den Mädchen fernhielten. Die meisten Jungen waren Mitglieder der Vereinigungskirche und durften daher nicht mit Mädchen ausgehen.

Meine einzige romantische Begegnung – sofern man es überhaupt so nennen konnte – mit einem Jungen im Teenageralter hinterließ bei mir den Eindruck, daß das andere Geschlecht ein Ärgernis sei, daß man um jeden Preis meiden sollte. Als ich dreizehn war, wartete sonntags ein gleichaltriger Junge draußen vor der Kirche auf mich. Er war nicht Mitglied der Vereinigungskirche, lebte aber in der Nachbarschaft. Er mußte beobachtet haben, wie ich zur Bushaltestelle ging oder von dort kam. Jede Woche versuchte er, mich in ein Gespräch zu verwickeln, und jede Woche ignorierte ich ihn. Ich war erleichtert, als wir ein neues Kirchengebäude in einem anderen Viertel bekamen. Endlich würde ich ihn loswerden. Aber schon am ersten Sonntag wartete er draußen vor der neuen Kirche. Ich habe nie seinen Namen erfahren; irgendwann gab er auf und ließ mich in Ruhe.

Unter meinen Freundinnen in Little Angels gab es natürlich das übliche kindische Gerede, welche Jungen die süßesten wären. Ich hörte nur schweigend zu. Da ich so früh in die Schule gekommen war, war ich ein Jahr jünger als die meisten meiner Schulkameradinnen. Ich war auch körperlich kleiner, noch ein niedliches kleines Mädchen, während meine Freundinnen bereits zu anmutigen jungen Frauen erblühten.

Wir wußten, daß wir alle eines Tages von Sun Myung Mun mit dem Mann zusammengeführt werden würden, den wir auch heiraten sollten. Wir nahmen an, daß bis dahin noch Jahre vergehen würden, daß wir erst unser Studium abschließen und ein Leben als Erwachsene beginnen würden. Das Durchschnittsalter, in dem Frauen in Korea heirateten, lag bei 25. Ich wußte, daß ich Muns Wahl akzeptieren würde, wenn die Zeit gekommen war. Mein Ehern erwarteten es von mir. Ich würde gehorchen. Ich dachte nicht viel über die Ehe nach, da ich davon ausging, erst in mehreren Jahren mit diesem Thema konfrontiert zu werden und ich, wenn es soweit war, ohnehin nicht viel zu sagen haben würde.

In meinem Gehorsam meinen Ehern gegenüber unterschied ich mich nicht sehr von anderen jungen Frauen meiner Kultur. Arrangierte Ehen sind in Korea, wo sie jahrhundertelang traditionelles Mittel waren, den gesellschaftlichen Status einer Familie zu erhalten oder zu erhöhen, immer noch an der Tagesordnung. Viele junge Leute heiraten unter westlichem Einfluß aus Liebe, aber die meisten Koreaner bezweifeln allgemein, daß romantische Liebe ein solides Fundament ist für die Gründung einer Familie. So kommt es, daß auch Paare, die einander frei gewählt haben, sich die Richtigkeit ihres Entschlusses von einem Wahrsager bestätigen lassen.

Meine Naivität mit 15 Jahren war nicht zu überbieten. Meine Mutter hatte mir erklärt, was es mit der Regelblutung auf sich hatte, als ich zehn war. Es war das einzige Mal gewesen, daß sie und ich auch nur annähernd von Sexualität gesprochen hatten. Die Atmosphäre daheim war an diesem Tag so drückend, ihr Unbehagen so offensichtlich, als ob wir über eine tödliche Krankheit reden würden. Ich erinnere mich, daß ich mich förmlich wand, weil ihre Verlegenheit mich bedrückte. Daß sie sich wieder wohlfühlte war mir wichtiger als meine Neugier auf die Frauengeheimnisse, die sie mir mitzuteilen hatte.

Eigentlich war ich nicht sonderlich neugierig auf das, was das Getuschel und Gekicher zwischen Jungen und Mädchen auf den Schulfluren betraf. Ich versuchte gar nicht, die Pointen von Witzen zu entschlüsseln, die ich nicht verstanden hatte. Einmal stand ich im Bus neben einem Lehrer, dem nachgesagt wurde, daß er in der Schule Mädchen belästigte. Er nahm meine Hand und starrte mich auf der ganzen Fahrt an. Ich versuchte, meine Hand wegzuziehen, aber er war zu stark. Meine Finger wurden in seinem schraubstockartigen Griff erst rot, dann weiß. Ich fand das sonderbar, aber mir kam nie der Gedanke, sein Verhalten könnte sexuell motiviert sein.

Damals bei der Schulversammlung hatte ich meine Freundin ausgelacht, als sie eine Hochzeit zwischen mir und Hyo Jin prophezeit hatte, aber ich hatte trotzdem daheim meiner Mutter davon erzählt. Sie war überrascht gewesen, aber wir hatten nie wieder davon gesprochen. Eines Tages sollten wir nicht durch Gerüchte, sondern durch eine echte Verlobung im Hong-Haushalt abgelenkt werden.

Als ich seinerzeit in der Little Angels Art School eingeschult worden war, flüsterten die älteren Mädchen, an denen ich vorbeikam »Das ist Jins kleine Schwester«, und mir schwoll das Herz vor Stolz. Ich sonnte mich in seinem auf mich übertragenen Ruhm. Jin war der beliebteste Junge auf der Schule. Er sah gut aus, war klug und Klassensprecher. Es war eine Ehre, seine Schwester zu sein.

Mehr als ein Mädchen in der Schule schrieb ihm Liebesbriefe. Er errötete wegen der vielen Aufmerksamkeit, aber er war ein lieber Junge. Er nahm den Moralkodex der Kirche sehr ernst. Etwas anderes als geschwisterliche Beziehungen zu jemandem des anderen Geschlechts war verboten. Rendezvous waren nicht erlaubt. Wir mußten rein bleiben, bis Vater entschied, daß für uns die Zeit gekommen war zu heiraten.

Als Jin siebzehn war und ich gerade erst fünfzehn, spürte ich, daß bei uns daheim ein großes Ereignis bevorstand. Die Atmosphäre war wie aufgeladen. Eine unterschwellige Spannung und Erregung lag in der Luft, aber meine Eltern sagten uns Kindern nichts. Die Muns lebten damals bereits in den Staaten, aber es ging das Gerücht um, daß sie sich unter den Gesegneten Kindern in Korea nach einem Bräutigam für ihr ältestes Kind, Je Jin, umsahen. Jeder rechnete damit, daß der Bräutigam unter den Söhnen der ersten Jünger Young Whi Kim oder Hyo Won Eu ausgewählt werden würde; ihre Söhne, Jin Kun Kim und Jin Seung Eu, waren Freunde meines älteren Bruders.

Als ich eines Tages von der Schule kam, sah ich zu meiner Überraschung, daß meine Eltern beide ihre besten Kleider trugen. Ich konnte hören, wie Jin sich in seinem Zimmer anzog. Als er herauskam, trug er einen neuen Anzug und hatte sich das Haar streng zurückgekämmt wie ein koreanischer Geschäftsmann. Meine Geschwister und ich schnappten nach Luft. Er sah so erwachsen aus. Meine Eltern gaben keinerlei Erklärung ab, und wir fragten auch nicht. Erst als sie Stunden später mit Jin von ihrem geheimnisvollen Ausflug zurückkehrten, teilten sie uns sechs mit, daß unser Bruder als Bräutigam für Je Jin Mun ausgewählt worden wäre. Er sollte die Tochter des Messias heiraten. Er sollte Mitglied der Wahren Familie Gottes werden.

Ich war unbeschreiblich stolz. Jin war etwas Besonderes, und jetzt würde auch ich zu jemandem Besonderen werden, weil Jin mein Bruder war. Mein Stolz wich jedoch Trauer, als ich daran dachte, daß er die Familie verlassen würde. Er war noch so jung und nahm einen so wichtigen Platz in meinem Leben ein. Bei uns daheim ging es nicht so religiös zu, daß nicht hin und wieder eine der strengen Kirchenregeln gebrochen worden wäre. Sun Myung Mun hatte Glücksspiel wegen seines schädlichen Einflusses verboten, aber meine Geschwister und ich spielten oft ein koreanisches Kartenspiel namens Wha Tu. Der Verlierer kaufte dem Gewinner manchmal zum Mittagessen eine Portion schwarzer chinesischer Nudeln, die ein Junge auf einem Fahrrad vom Restaurant bis zu uns nach Hause lieferte. Würde das ohne Jin jetzt ein Ende haben?

Wer würde mir bei den Hausaufgaben für den Kunstunterricht helfen, mit dem ich mich so schwer tat, wenn Jin fort war? Meine Trauer verblaßte jedoch neben der Choong Sooks, für die künftig ich die Älteste der Hong-Kinder war. Ich hatte nichts vom Beispiel meines Bruders gelernt, der seine Autorität mit Güte durchgesetzt hatte. Ich wählte eine direktere Umsetzung der Macht. Ich schäme mich zuzugeben, daß ich Choong Sook, die zwei Jahre jünger war als ich, wie meine Leibeigene behandelte. Meine Großmutter gab mir sogar den Spitznamen »Choon Hyang« nach der feinen Dame in einer berühmten koreanischen Liebesgeschichte, und nannte meine Schwester »Hyang Dan« nach dem Dienstmädchen dieser feinen Lady.

Wir waren wie vor den Kopf geschlagen, als wir erfuhren, daß Je Jin und Jin schon am nächsten Tag heiraten würden. Uns allen war die Bedeutung des Hochzeitssegens eingeschärft worden, seine zentrale Rolle in unserem spirituellen Leben und die angemessene Ernsthaftigkeit, mit der man diesen Augenblick erleben sollte. Je Jin und Jin konnten dafür unmöglich Zeit gehabt haben. Es war fast so, als würde Reverend Mun seine Tochter quasi bei einem Zwischenstopp auf einer seiner Reisen um die Welt mal eben verheiraten.

Die Heirat ist der Mittelpunkt der Vereinigungsdoktrin. Sun Myung Mun lehrt, daß, weil Jesus gekreuzigt wurde, bevor er heiraten und sündenfreie Kinder zeugen konnte, das Himmelreich auf Erden den Menschen verwehrt geblieben sei. Es ist Muns Aufgabe als Zweiter Messias, Jesu Werk zu vollenden. Mit Sun Myung Muns Heirat mit Hak Ja Han 1960 begann eine neue Ära, die innerhalb der Vereinigungskirche als »Ära des Vollendeten Testaments« bezeichnet wird. Dieses vollkommene Paar, die Wahren Eltern, gründeten die erste Wahre Familie, indem sie Kinder zeugten, die frei von Ursünde geboren wurden. Der Rest der Menschheit konnte Teil dieses sündenfreien Vermächtnisses werden, indem er den Hochzeitssegen der Vereinigungskirche empfing.

Reverend Mun und Mrs. Mun würden Jesu Mission, die Menschheit zu erlösen, vollenden, indem sie die Rolle Adams und Evas im Garten Eden übernahmen, diesmal ohne Sündenfall. Da die Vereinigungskirche predigt, daß der Sündenfall ein Akt sexuellen Fehlverhaltens war, wird Mun die Menschheit mittels einer »prinzipientreuen« monogamen Ehe erlösen. Andere Paare konnten nur von der satanischen Blutlinie Adams und Evas – von der Ursünde – befreit werden, indem sie den Segen empfingen und eins wurden mit der Wahren Familie.

Vor und nach der Segnung verlangt die Kirche von einem Paar, an mehreren komplexen Ritualen teilzunehmen, aber bei Je Jin Mun und Jin Hong wurde auf die meisten verzichtet. Muns Lehre besagt, daß zwischen der Trauungszeremonie und dem tatsächlichen Vollzug der Ehe im Rahmen der Drei-Tage-Zeremonie drei Jahre verstreichen sollen. In diesem Fall gab es keine Trauungszeremonie, keine Gelöbniszeremonie und auch keine Drei-Tage-Zeremonie, obwohl Mun predigte, daß jedem einzelnen dieser Rituale eine tiefreichende theologische Bedeutung zukäme.

Theoretisch mußte man seit mindestens drei Jahren Mitglied der Vereinigungskirche sein, mindesten drei neue Mitglieder geworben haben und den geforderten finanziellen Beitrag zum Entschädigungsfond geleistet haben, bevor man in der Vereinigungskirche heiraten konnte. Diese Zahlung symbolisierte die Vereinigung und lehrte uns, daß die gesamte Menschheit die Schuld für den Verrat an Jesus teilt und jeder einzelne für diese kollektive Sünde zahlen muß.

Bei der Zusammenführungzeremonie mußte früher ein Paar vor Sun Myung Mun und Mrs. Mun treten, die den beiden die Bedeutung der Segnung darlegten und sie aufforderten, sich in verschiedene Räume zurückzuziehen, wo sie überlegen sollten, ob sie den für sie ausgewählten Partner akzeptierten. Als die Kirche größer wurde, wurde ein Segnungskomitee gebildet, das über die Zusammenführung von Paaren entscheiden sollte, aber in den Anfangstagen und später bei seiner eigenen Familie übernahm Sun Myung Mun diese Aufgabe noch selbst.

Die Heiliger-Wein-Zeremonie wird für gewöhnlich am selben Tag abgehalten wie die Zusammenführungszeremonie. Mann und Frau stehen einander gegenüber; erst trinkt die Frau einen halben Becher gesegneten Wein und reicht diesen dann an den Mann weiter. Die Frau trinkt zuerst, um Eva zu symbolisieren, die erste, die gesündigt hat, und nun als erste wieder in die Gnade aufgenommen wird. Die letzten Tropfen, die im Becher übrigbleiben, werden auf ein Heiliges Taschentuch gespritzt, das im Anschluß an die Segnung bei der Drei-Tage-Zeremonie benutzt werden soll. Nachdem ein Paar den Segen empfangen hat, wird eine private Entschädigungszeremonie abgehalten, bei der Ehemann und -frau einander rituell und symbolisch mit Stöcken den Satan »aus dem Leib prügeln«.

Die Drei-Tage-Zeremonie ist der Vollzug der Ehe. In den meisten Fällen darf das Paar in den ersten drei Jahren seines gemeinsamen Ehelebens keinen Sex haben. Verstoßen sie gegen dieses Verbot, müssen die Eheleute eine von Mun ersonnene komplizierte Abfolge sexueller Handlungen vornehmen. Am Morgen des dritten Tages kommt das Paar im Gebet zusammen. Anschließend baden Mann und Frau und trocknen ihre Körper mit dem Heiligen Taschentuch, das erst in Wein und anschließend in kaltes Wasser getaucht wurde. In den ersten zwei Nächten nimmt die Frau die beherrschende Stellung ein und symbolisiert dadurch eine geläuterte Eva, die erst Satan und dann dem gefallenen Adam die Gnade bringt. In der dritten Nacht übernimmt der Mann die beherrschende Stellung, und dieser Akt symbolisiert, daß Adam und Eva, beide geläutert, die Mission vollenden, die Gott ihnen im Anbeginn der Schöpfung zugedacht hatte.

Es war die erste Hochzeit eines Wahren Kindes von Sun Myung Mun und seiner Gemahlin. Das Fehlen so vieler der gewöhnlich mit der Segnung einhergehenden Rituale war ein ziemlicher Schock. Das Ganze hatte etwas von einer Blitzhochzeit an sich. Warum die Eile? fragte ich mich. Warum wurde gegen die Kirchendoktrin verstoßen, um Je Jin und Jin praktisch von einem Tag auf den anderen zu verheiraten? Erst viel später sollte ich erfahren, daß diese Regeln nicht für die Mun-Familie galten. Sie alle hatten gleich nach der Segnung Sex, sofern sie nicht schon vorher Sex gehabt hatten.

Aber hierüber dachten meine Geschwister und ich nicht nach, als wir ganz hinten in der Kirche saßen. Unsere Eltern waren zusammen mit den Muns und dem Brautpaar ganz vom. Wir konnten kaum etwas sehen. Wir alle versäumten einen Schultag, um an der Zeremonie teilzuhaben. Je Jin war wunderschön in einem weißen Brautkleid, und mein Bruder sah besser aus denn je, wie der Plastikbräutigam oben auf einer Hochzeitstorte. Wir mußten uns anstrengen, um zu hören, wie sie ihre Gelöbnisse austauschten.

Gelobt Ihr, als erwachsener Mann und erwachsene Frau, die das Ideal der göttlichen Schöpfung vollziehen sollen, für alle Zeiten als Mann und Frau vereint zu bleiben?

Gelobt ihr, ein Wahrer Ehemann und eine Wahre Ehefrau zu sein, eure Kinder nach dem Willen Gottes großzuziehen und sie zu lehren, verantwortungsbewußte Führer vor eurer Familie, vor der ganzen Menschheit und vor dem allmächtigen Gott zu werden?

Gelobt ihr, als Wahre Eltern die Tradition der Familieneinigkeit zu erben und diese stolze Tradition an die nachfolgenden Generationen eurer Familie und der ganzen Menschheit weiterzugeben?

Gelobt ihr, eingebettet in das Ideal der Schöpfung, dem Willen Gottes und der Wahren Eltern zu folgen, Gottes Traditionen der Liebe zu Kindern, zwischen Bruder und Schwester, Ehemann und Ehefrau und Eltern [die vier großen Reiche des Herzen] sowie der Liebe von Großeltern, Eltern und Kindern [die drei großen Königreiche] zu fördern und die Menschen der Welt so zu lieben wie es Gott und Wahre Eltern tun? Und gelobt ihr, wenn die Zeit gekommen ist, die vollkommene Familie zu gründen, die den Grundstein bildet für das Königreich Gottes im Himmel und auf Erden?

Als sie ihr Gelöbnis ablegten, blickte ich quer durch den Raum auf Hyo Jin Mun, dessen langes Haar über den Kragen seines dunkeln Anzugs fiel. Er photographierte die Zeremonie, sah aber mürrisch und zornig aus. Das überraschte mich. Warum sollte jemand auf einer Hochzeit ein so unglückliches Gesicht machen? Erst rückblickend glaube ich zu begreifen, was ihm gegen den Strich ging: Ich vermute, daß Hyo Jin schmollte, weil nicht er im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand.

Nach der Hochzeit fand in einem großen Ballsaal des Palace Hotels ein Empfang statt. Unsere Eltern und alle Muns nahmen daran teil, aber wir, Jins Geschwister, waren nicht eingeladen. Einer meiner Onkel ging mit uns sechs in einem Hotelrestaurant essen, aber wir waren untröstlich, von der Hochzeitsfeier unseres Bruders ausgeschlossen worden zu sein. Das Ganze war eine Mun-Angelegenheit; die Hongs spielten ganz offensichtlich nur die zweite Geige.

Kurz nach der Trauung flogen die Muns und Je Jin zurück nach Amerika. Je Jin studierte am Smith College, einem sehr angesehenen Frauencollege in Massachusetts. Jin zog in Sun Myung Muns Haus in Seoul, das er mit Hyo Jin und einer ganzen Armee von Personal teilte. Er hatte noch ein Jahr an der High-School vor sich, und es war nicht leicht, ein Visum zu bekommen, um in die USA zu reisen.

Das Zusammenleben mit Hyo Jin fiel meinem Bruder schwer. Hyo Jin war als Prinz aufgewachsen und führte sich wie einer auf. Er ließ seine Kleider einfach fallen, wenn er sich aus- oder umzog, und überließ es den Schwestern, sie aufzuheben. Die Hausangestellten kommandierte er herum als wären sie Leibeigene. Er brachte seine Freundinnen mit nach Hause und schlief dort mit ihnen. Er verpestete das ganze Haus mit Zigarettenrauch. Jin befand sich in einer unhaltbaren Situation. Er mißbilligte Hyo Jins Benehmen, konnte aber andererseits nicht den Sohn des Messias kritisieren. Hyo Jin war ein Wahres Kind, während Jin lediglich eins geheiratet hatte.

In mein Leben kehrte nach der Hochzeit meines Bruders wieder die alte Routine ein. Ich sah ihn in der Schule, aber wir unterhielten uns in der Regel nur kurz. Er lernte andauernd. Die Schule war um 15.00 Uhr aus, aber die älteren Schüler blieben häufig bis 21.00 Uhr, um sich auf die Aufnahmeprüfung der Universität vorzubereiten. Außerdem rangierte Jin jetzt auf einer anderen, höheren Ebene. Er war nicht mehr mein Bruder, sondern Mitglied der Wahren Familie. Ich vermißte ihn fürchterlich.

Wenn ich an meine eigene Zukunft dachte, was ich nur selten tat, glaubte ich, noch viele Jahre Ausbildung vor mir zu haben. Ich versäumte nie einen Schultag. Ich übte fleißiger am Klavier; vielleicht würde ich ja doch noch den Traum meiner Mutter erfüllen und Konzertpianistin werden. Vielleicht würde ich einen Pianisten heiraten; dann könnten wir gemeinsam auf den Konzertbühnen der ganzen Welt spielen. Hatte nicht ein Wahrsager meiner Mutter irgendwann gesagt, ich würde berühmt und einen bedeutenden Mann heiraten?

Aber solcherlei Gedanken waren nicht mehr als kindische Phantasien. Ich befolgte den strengen Kodex der Vereinigungskirche. Ich war völlig verdattert, als ich eines Nachmittags sah, wie das Mädchen, das neben mir saß, sich die Augen schminkte. Sie war nicht Mitglied der Kirche. Sie erzählte mir, sie sei nach der Schule verabredet. Ich war gleichermaßen fasziniert und entsetzt.

Sechs Monate nach der Segnung Je Jins und Jins, im November 1981, führte die Little Angels Art School zur Feier der Eröffnung eines neuen Theaters eine traditionelle koreanische Musik- und Tanzdarbietung auf. Die Schule war seit ihrer Gründung durch Sun Myung Mun 1974 stetig gewachsen. Das angrenzende »Zentrum für darstellende Künste« beherbergte auch das Little Angels Folk Ballet, das Mun 1965 ins Leben gerufen hatte. Die Little Angels, ein Ensemble von sieben- bis fünfzehnjährigen Mädchen, sind schon weltweit vor Staatsoberhäuptern aufgetreten sowie vor den Königshäusern Englands und Japans.

Ich besaß kein solches darstellerisches Talent. Bei der Aufführung wies man mir eine kleine Rolle im Chor zu. Ich war ein nervliches Wrack, als ich zusammen mit den anderen Mädchen hinter der Bühne wartete, das Haar zurückgekämmt und zu einem straffen Zopf geflochten, und in einem wunderschönen Kostüm, von dem ich jedoch wußte, daß es nicht über meine grauenhafte Stimme hinwegtäuschen konnte.

Der Chorleiter reihte uns gerade für unseren Auftritt auf, als plötzlich jemand meinen Namen rief. Unvermittelt stand die Direktorin an meiner Seite. »Deine Mutter hat eine Nachricht für dich geschickt«, sagte sie. »Du mußt gehen und dich umziehen.«

Ich kehrte zurück in die Garderobe und tauschte mein Kostüm gegen die Schuluniform. Ich stieg in den marineblauen Rock, knöpfte die weiße Bluse zu und zog den blauen Blazer über. Dann schlüpfte ich noch in den grauen Wollmantel mit dem schwarzen Pelzkragen, der zur Winteruniform gehörte, griff nach meiner roten Mütze und der roten Schultasche und lief zu der wartenden Limousine. Ich stieg hinten ein, ohne einen Schimmer zu haben, wohin man mich brachte. Es spricht Bände über das Ausmaß meines blinden Gehorsams, daß ich nicht danach fragte.

Ich war noch nie in der Privatresidenz der Muns gewesen. Es war ein riesiges Haus mit einem verschnörkelten Eingangstor, das auf einen großen Hof führte. Eine Schwester führte mich in ein elegantes Speisezimmer. Meine Mutter war bereits dort. Auf beiden Seiten des rechteckigen Tisches standen je drei Stühle. Am Kopfende des Tisches saß Reverend Mun; Mrs. Mun zu seiner Rechten. Neben ihr saß eine Frau, die ich noch nie gesehen hatte. Daneben wiederum saß Mrs. Young Whi Kim. Meine Mutter saß Mrs. Mun gegenüber. Meine Mutter lächelte und bedeutete mir, neben ihr Platz zu nehmen. Ich hielt den Blick gesenkt und konzentrierte mich auf das Muster von Licht und Schatten, das der große Kristallüster auf das weiße Leintuch warf.

Mein Kopf blieb gesenkt, während die Küchenschwestern uns einen Gang des Abendessens nach dem anderen servierten. Ich war zu eingeschüchtert, um Reis, Suppe, Kimchi, Meeresfrüchte oder Fleisch anzurühren. Ich schob die Speisen auf meinem Teller hin und her und betete, daß mich niemand beachtete.

Mir fiel auf, daß Mrs. Mun bester Laune zu sein schien. Es wurde viel gelacht, aber ich schenkte der Unterhaltung keine Beachtung, bis mir plötzlich aufging, daß sie von mir sprachen. Die Frau, die ich vorher noch nie gesehen hatte, starrte mich an. Sie äußerte sich zu meiner Stirn und meiner Kopfform. Sie war entzückt von der Frisur, die für die Aufführung gedacht gewesen war, weil sie es ihr ermöglichte, meine Ohren eingehender zu betrachten. Ich fühlte, wie mir brennende Röte in die Wangen stieg, als sie die positiven Eigenschaften meiner Ohren aufzählte: lange und große Ohrläppchen, gute Proportionen. Das alles bedeutete Glück und ein langes Leben.

Panik befiel mich, als meine Mutter nach dem Essen auf-stand, um ihren Teller wegzubringen, als das Abendessen beendet war. Ich folgte ihr durch die Schwingtüren in die Küche, wo die Schwestern lachten und lächelten, offensichtlich erfreut über mehr als nur die Form meiner Ohren. Auf der Heimfahrt war deutlich, daß auch meine Mutter zufrieden war, aber sie erklärte mir unseren Besuch bei den Muns mit keinem Wort. Und ich wußte, daß es sich für mich nicht gehörte zu fragen, wenn sie sich nicht von sich aus äußerte.

Ich war überrascht, als meine Mutter mich am nächsten Tag zum Friseur schickte, um mir eine Dauerwelle in das lange, glatte schwarze Haar machen zu lassen. Noch verwirrter war ich, als sie ihr blaues Kostüm für mich herauslegte. Sie sagte, darin würde ich erwachsener aussehen. In Begleitung meiner Eltern fuhr ich wieder zum Haus der Familie Mun. Diesmal hatten sich dort zahlreiche Gäste versammelt. Sämtliche hohen Würdenträger der Kirche waren da. Ich schien große Aufmerksamkeit zu erregen. Alle lächelten mich an. Das liegt nur an Mutters hübschem Kostüm, dachte ich. Ein Photograph knipste mich unablässig. Es gab Berge köstlicher Speisen.

Kurz darauf wurden meine Eltern und ich in einen Raum gebeten, wo wir mit den Muns allein waren. Meine Eltern nahmen den Muns gegenüber auf Kissen auf dem Fußboden Platz. Reverend Mun sprach so leise, daß ich ihn kaum verstehen konnte. Ich hielt den Kopf gebeugt. Während ich noch schweigend vor ihm kniete, bat Mun meine Eltern, ihre Tochter der Wahren Familie anzuvertrauen. Meine Mutter und mein Vater vermieden es, mich anzusehen, als sie einwilligten.

»Das ist es also«, sagte ich mir. »Man hat einen Ehemann für mich ausgesucht.« Sun Myung Mun stellte mir keinerlei Fragen. Er unternahm keinen Versuch, mich in ein Gespräch zu verwickeln, um mich kennenzulernen. Er wußte bereits genug. Wie sich herausstellte, war die fremde Frau beim Abendessen eine buddhistische Geisterbeschwörerin gewesen, eine Wahrsagerin, und sie hatte Mun versichert, daß ich ganz wunderbar zu Hyo Jin passen würde. Die Frau, die ich für mich selbst die »buddhistische Lady« nannte, war kein Mitglied der Vereinigungskirche. Weder ich noch meine Eltern kamen auf den Gedanken zu hinterfragen, warum Reverend Mun eine buddhistische Wahrsagerin zu Rate ziehen mußte, wenn er wirklich der Zweite Messias war und in direkter Verbindung zu Gott stand.

Ob ich mit seinem Sohn Hyo Jin vermählt werden wolle, fragte Vater. Ich zögerte nicht. Es war der Traum jedes Mädchens in der Vereinigungskirche, ein Mitglied der Wahren Familie zu heiraten. Wenn ich Hyo Jins Frau wurde, bedeutete das, daß ich eines Tages Mutter der Kirche sein würde. Ich fühlte mich demütig und geehrt. Daß Hyo Jin alles andere als ein Märchenprinz war, kam mir gar nicht in den Sinn. Eine Segnung war nicht nur die Vereinigung zweier Menschen, sondern die Vereinigung zweier Seelen. Gott würde Hyo Jin auf den rechten Pfad führen, und Reverend Mun hatte mich als Werkzeug dieser Mission auserwählt. »Ja, Vater«, antwortete ich, hob den Kopf und sah ihm in die Augen. »Sie ist hübscher als Mutter«, sagte er. Ich tat so, als hätte ich nicht gehört, fragte mich aber, was Mrs. Mun von dieser Bemerkung halten mochte. Ich wagte nicht, in ihre Richtung zu sehen.

Meine Verwandten und Freunde hatten mir mein ganzes Leben gesagt, ich wäre hübsch. Natürlich gab es viel hübschere Mädchen als mich, aber ich wußte, daß ich nett anzusehen war, und ich freute mich über Muns Kompliment. Ich habe nie erfahren, warum Sun Myung Mun ausgerechnet mich als Ehefrau für seinen ältesten Sohn ausgewählt hatte. Vielleicht dachte er lediglich, ich sei hübsch, fleißig und aus guter Familie. Damals genügte mir das als Erklärung. Jahre später gelangte ich jedoch zu der Überzeugung, daß meine Jugend und meine Naivität den Ausschlag gegeben hatten. Ich war jünger als es Hak Ja Han bei ihrer Heirat mit dem Messias gewesen war. Für ihn war die ideale Frau ein Mädchen, das jung und passiv genug war, um sich zu unterwerfen, so daß er es nach seinen Vorstellungen formen konnte. Die Zeit sollte zeigen, daß ich zwar jung war, aber bei weitem nicht passiv genug.

Hyo Jin wartete in einem Nebenraum. Mun schickte mich zu ihm. Beide Parteien müssen der Segnung zustimmen, aber tatsächlich hatten wir beide keine andere Wahl. Wir wußten, daß Reverend Mun nicht viel von jenen hielt, die sich ihren Partner selbst aussuchten; eine Ehe sollte auf spiritueller und nicht körperlicher Harmonie basieren, und Reverend Mun war geeigneter als jeder andere, hierüber zu entscheiden.

Ich war noch nie mit einem fremden Jungen allein gewesen, schon gar nicht mit dem Sohn des Messias. Ich verneigte mich und grüßte ihn steif mit »Hyo Jin Nim«. Er entgegnete, daß ich auf den förmlichen Titel Nim verzichten könne, wenn wir heiraten sollten. Er forderte mich auf, mich zu ihm auf das Sofa zu setzen. Er hielt meine Hand. Ich versuchte, mich zu entspannen, war aber schrecklich schüchtern. Wir hatten einander nichts zu sagen. Nach einigen unbehaglichen Minuten meinte Hyo Jin wir sollten zu unseren Eltern zurückgehen.

Wir gingen hinunter ins Wohnzimmer, wo Mun zum Gebet aufgerufen hatte. Wir hielten uns alle bei den Händen. Mrs. Mun nahm einen Rubin- und Diamantring von einem Finger ihrer Hand und steckte ihn mir an, um unsere Verbindung zu besiegeln. Reverend Mun und seine Frau weinten beide und brachten ihre Hoffnung zum Ausdruck, daß Hyo Jin sich als Sohn des Messias würdig erweisen würde.

Als meine Eltern und ich heimfuhren, stieß meine Mutter sich schmerzhaft den Kopf, als sie sich bückte, um in den Wagen zu steigen. Unsere Kultur ist sehr abergläubisch. Wie oft sollten meine Mutter und ich uns in den folgenden Jahren noch fragen, warum wir diesen Zwischenfall nicht als Warnung für das kommende Leid erkannt hatten.



Ich singe bei einer Geburtstagsfeier innerhalb der Mun-Familie auf dem Anwesen von East Garden. Sun Myung Mun ließ bei Familientreffen und Kirchenzusammenkünften jeden von uns singen, eine Pflicht, die mir aufgrund meiner dünnen Stimme verhaßt war.


4. Kapitel

Ich reiste am 3. Januar 1982 illegal in die Vereinigten Staaten ein. Um ein Visa für mich zu erhalten, hatte die Vereinigungskirche sich eine Geschichte ausgedacht und behauptet, ich solle an einem internationalen Klavierwettbewerb in New York City teilnehmen.

Hätten die amerikanischen Einwanderungsbeamten mich spielen hören, hätten sie diese List sofort durchschaut. Eine Klavierspielerin mit einem so mäßigen Niveau wie meinem hätte niemals an einem solchen Wettbewerb teilnehmen können – falls es ihn überhaupt gegeben hätte. Um dieser Lügengeschichte Glaubwürdigkeit zu verleihen, ließ Sun Myung Mun mich von der besten Klavierschülerin von Little Angels nach New York begleiten; offiziell nahm sie ebenfalls an dem Wettbewerb teil.

Ich muß gestehen, daß ich an jenem kalten Wintertag nicht weiter über diesen Betrug nachdachte, als meine Eltern und ich meinen Geschwistern zum Abschied winkten und nach Amerika aufbrachen. Wir akzeptierten Muns Behauptung, der zufolge die Gesetze der Menschen hinter Gottes Plänen zurückstehen mußten. In diesem Sinne war das unrechtmäßig erlangte Visum nur ein göttliches Zeichen für den heiligen Bund der Ehe, den ich mit Hyo Jin Mun eingehen würde.

Um die Wahrheit zu sagen hatte ich in den sechs Wochen seit unserer Verlobung überhaupt nicht viel nachgedacht. Rückblickend denke ich, ich hatte damals viel Ähnlichkeit mit einer aufziehbaren Porzellanpuppe. Man dreht den Schlüssel, und sie geht, redet und lächelt. Ich war ein Schulmädchen und überwältigt von der Verwandlung, die ich buchstäblich über Nacht erfahren hatte. Am einen Tag war ich noch ein Kind, das aus dem Raum gescheucht wurde, wenn Erwachsene sich über ernste Angelegenheiten unterhalten wollten, und am nächsten Tag war ich plötzlich Mitglied der Wahren Familie und wußte nicht, wie ich mich verhalten sollte, wenn Ältere sich respektvoll vor mir verneigten.

Nachdem Hyo Jin und seine Eltern nach Amerika zurückgekehrt waren, verbrachten meine Mutter und ich Wochen damit, mir eine Garderobe zusammenzustellen, die zu meiner Verwandlung vom Mädchen zur Frau paßte. Mit meinen Schuluniformen, T-Shirts und Jeans war es vorbei. Mein kindliches Ich wurde unter maßgeschneiderten Kostümen und konservativen Kleiderschichten begraben. Und so fremd ich mich in meiner neuen Rolle auch fühlen mochte, genoß ich es doch, im Mittelpunkt zu stehen. Welches Mädchen würde es nicht genießen, wenn reihenweise Dinnerpartys zu seinen Ehren veranstaltet werden? Wem würde die Anerkennung anderer, die so viel älter sind als man selbst, nicht den Kopf verdrehen?

Sofern es einen Hinweis auf die schweren Zeiten gab, die mich erwarteten, dann war es das Unbehagen, das ich stets in der Gegenwart meines Bräutigams verspürte. Im Dezember kehrte Hyo Jin Mun ohne seine Eltern für kurze Zeit nach Korea zurück. Unsere Begegnungen verliefen in gespannter Atmosphäre, nicht nur wegen des Mangels an gemeinsamen Interessen, sondern vor allem, weil er mich unablässig bedrängte. Meine Mutter hatte mir mehrere Bücher über die Ehe zu lesen gegeben, aber mir war immer noch nicht klar, wie der sexuelle Akt konkret vor sich ging.

Hyo Jin nahm mich während seines Aufenthaltes mit zu sich nach Hause, unter dem Vorwand, mir sein Zimmer zeigen zu wollen, wo er mich dann prompt zum Bett dirigierte. »Leg dich zu mir«, sagte er. »Du kannst mir vertrauen. Wir werden bald verheiratet sein.« Ich tat, was er verlangte, und versteifte mich sofort ängstlich, als seine ganz offensichtlich erfahrenen Hände mich begrapschten, und seine Finger sich durch die verschiedenen Lagen meiner Winterkleider arbeiteten. »Berühr mich hier«, befahl er und führte meine Hände an seinem Innenschenkel entlang. »Streichle mich hier.«

Innerhalb der Vereinigungskirche ist Sex vor der Ehe strikt untersagt. Da Sun Myung Mun lehrte, daß der Fall durch einen sexuellen Akt provoziert wurde, galt vor- und außerehelicher Sex als die schlimmste Sünde, die man begehen konnte. Und nun mußte ich, ein verängstigtes Mädchen von fünfzehn Jahren, einem Sproß der Vereinigungskirche und dem Sohn des Messias klarmachen, daß wir beide ewige Verdammnis riskierten, wenn wir taten, was er verlangte. Er schien mehr belustigt als verärgert angesichts meiner selbstgerechten Naivität. Ich für meinen Teil glaubte von ganzem Herzen daran, daß Gott mich auserwählt hatte, um Hyo Jin von seinem sündigen Pfad abzubringen.

Ich hatte ja keine Ahnung, wie schwierig diese Aufgabe sein würde. Auch als die Maschine der Korean Airlines auf dem Kennedy-Flughafen in New York landete, verschwendete ich noch keinen Gedanken darauf, wie mein Leben in Amerika aussehen würde, Lichtjahre entfernt von allem, was mir vertraut war, und von all den Menschen, die ich liebte. Voller Demut angesichts meiner Wahl zu Hyo Jin Muns Braut und mitgerissen von den Ereignissen, die andere für mich in Gang setzten, fragte ich mich zu keiner Zeit, wie ein gewöhnlicher Sterblicher sich in die »göttliche« Familie Sun Myung Muns einfügen oder wie ein tugendhaftes Mädchen einen älteren und rebellischen jungen Mann wie Hyo Jin Mun zähmen sollte.

Als wir in New York von Bord gingen, wurde ich in der Menge, die auf den US-Zoll zudirigiert wurde, von meinen Eltern getrennt. Der uniformierte Beamte blickte unwillig drein, als ich ihm meine zwei großen Koffer reichte. Unfreundlich sagte er etwas zu mir, aber da ich kein Englisch sprach, konnte ich seine Fragen nicht beantworten. Es gab einige Aufregung, und jemand rief etwas, ehe man mir endlich zur Hilfe kam.

Ich sah zu, wie der Zollbeamte meine ordentlich gefalteten Kleider auf den Tresen häufte und die Seiten- und Innentaschen meines Gepäcks durchwühlte. Wonach suchte er? Was sollte ich schon bei mir haben?

Mir kam gar nicht in den Sinn, daß der Zollbeamte allen Grund hatte, mißtrauisch zu sein: Wo waren meine Noten für den angeblichen Klavierwettbewerb? Warum hatte ich so viel Gepäck, wenn ich doch nur so kurze Zeit bleiben wollte? Trug ich nicht ein Kettchen im Wert von mehreren Tausend Dollar um den Hals, das ich in Korea als Verlobungsgeschenk erhalten hatte? Hatten die Kirchenführer mir nicht geraten, sie unter meinem braven braunen Kleid zu verstecken?

Als ich in den USA einreiste, befand sich die Aversion gegen Sun Myung Mun gerade auf ihrem Höhepunkt. Er galt in den Vereinigten Staaten als Gefahr für die Allgemeinheit, so wie seinerzeit Jim Jones, der Anführer der Volkstempler-Sekte, der 1978 über 900 seiner Anhänger bei einem Massenselbstmord in Guayana einen tödlichen Cocktail aus Fruchtsaft und Zyanid verabreicht hatte. Die Zeitungen in Amerika waren voller Geschichten von jungen Leuten, die von Muns Anhängern einer Gehirnwäsche unterzogen worden waren. Überall im Land gab es neuerdings »Deprogrammierer«, die von Eltern dafür bezahlt wurden, daß sie ihre Kinder aus den Zentren der Vereinigungskirche entführten und die Gehirnwäsche wieder rückgängig machten.

Da ich selbst in die Vereinigungskirche hineingeboren worden war, wußte ich nur wenig über die Anwerbetechniken, wegen derer unsere Kirche in die Schußlinie geraten war. Ich stand melodramatischen Schlagworten wie »Gehirnwäsche« skeptisch gegenüber, aber es stimmte wohl, daß neue Mitglieder von ihren alten Freunden und ihrer Familie isoliert wurden. Kirchenmitglieder wurden ermutigt, möglichst viel über die Neuen in Erfahrung zu bringen, damit eine ganz individuelle Annäherung auf sie zugeschnitten werden konnte, um sie für die Kirche zu gewinnen. Mitglieder bombardierten Neuzugänge förmlich mit so viel Aufmerksamkeit, daß es kaum verwunderlich war, daß die jungen Leute so begeistert waren von ihrer neuen »Familie«, eine Methode, die »Love-bombing« genannt wurde.

Gewöhnlich war es die alte Familie des Rekruten, die unheilige Motive hinter dieser Liebe propagierenden religiösen Gemeinschaft vermutete. In dem Jahr meiner Einreise kam es nicht selten vor, daß Reisende auf dem Flughafen, an roten Ampeln oder an Straßenecken von jungen Leuten angesprochen wurden, die Souvenirs oder Blumen für die Vereinigungskirche verkauften. Betteln ist eine harte und demütigende Arbeit, aber die Anhänger Sun Myung Muns sind hierin erfolgreicher als die meisten anderen. Um Geld zu bitten fällt um vieles leichter, wenn man der Überzeugung ist, hiermit das gute Werk des Messias zu unterstützen.

Die amerikanische Regierung hatte ebensoviele Fragen zu Sun Myung Muns Finanzen wie amerikanische Eltern zu seiner Theologie. Senator Robert Dole, der ranghöchste Republikaner im Finanzausschuß des Senats hatte bei Besprechungen zur Vereinigungskirche empfohlen, die Bundessteuerbehörde sollte die Steuerverhältnisse Muns und seiner Kirche einer sorgfältigen Prüfung unterziehen. Erst einen Monat vor meiner Verlobung hatte eine staatliche Grand Jury in New York Sun Myung Mun wegen Einkommenssteuerhinterziehung für die Jahre 1972 bis 1974 für schuldig befunden sowie der Konspiration zum Zwecke der Steuerhinterziehung. Zweifellos hatte diese Vorgeschichte mehr mit der gründlichen Überprüfung meines Gepäcks am Kennedy-Flughafen zu tun als die Größe meiner Koffer.

Natürlich wußte ich hiervon nichts. Ich wußte nur, daß ich nach Amerika gereist war, um zur Familie Mun zu stoßen. Hyo Jin Mun ging ungeduldig vor dem Zoll auf und ab. Als ich herauskam, ganz aufgewühlt wegen der unfreundlichen Behandlung, sehnte ich mich nach dem Trost meiner Eltern, aber Hyo Jin brachte mich sofort zum Parkplatz, wo er seinen schwarzen Sportwagen geparkt hatte, ein Verlobungsgeschenk seines Vaters. Er hatte einen kleinen Blumenstrauß mitgebracht, war aber derart aus der Ruhe gebracht von der Verzögerung, daß er beinahe vergaß, ihn mir zu überreichen. Meine Eltern würden in East Garden zu uns stoßen, erklärte er. Ich war zu müde, um zu widersprechen.

Ich sagte kein Wort auf der 45minütigen Fahrt von New York City in nördliche Richtung nach Westchester, durch die noblen Vororte, in denen Manhattans Firmenmanager und Wirtschaftselite in anheimelnden ländlichen Ortschaften entlang des Hudson River lebten. Es war schon spät. Es war zu dunkel, als daß man viel hätte sehen können, und ich war so müde, daß mir ohnehin alles egal war.

Ich wurde erst aufmerksamer, als wir durch die schwarzen schmiedeeisernen Tore fuhren. East Garden – endlich. Hyo Jin nickte dem Wachmann in dem Wachhäuschen zu und fuhr dann die lange, gewundene Auffahrt hinauf. Trotz der Dunkelheit glaubte ich, genau die Stelle auf der weiten Rasenfläche zu erkennen, die ich so viele Jahre ehrfürchtig angeschaut hatte. Bei uns zu Hause in Korea hing nämlich eine Photographie der Wahren Familie, die auf dem smaragdgrünen Rasen ihrer amerikanischen Residenz saß. Bislang war mein Glaube an die Perfektion der Menschen auf diesem Photo unerschütterlich gewesen. Wie sie in ihren teuren Kleidern vor ihrem imposanten Haus posierten, stellten sie für uns die vollkommene Familie dar, der wir nacheiferten. Dieses Photo bedeutete mir so viel wie anderen Teenagern Photos irgendwelcher Popstars.

Reverend Mun, Mrs. Mun und ihre drei ältesten Kinder empfingen uns an der Tür. Ich verneigte mich tief vor Vater und Mutter, voller Demut, in ihrem Haus sein zu dürfen. Ich hörte einen zweiten Wagen Vorfahren, als ich durch das gewaltige Foyer zum gelben Zimmer geführt wurde, einen wunderschönen Wintergarten. Wo waren meine Eltern? Wann würden sie und die Kirchenältesten eintreffen? Ich würde doch sicher nicht allein mit Reverend Mun und seiner Frau reden müssen!

Als ich das Haus betrat, blieb ich stehen, um meine schweren Winterstiefel auszuziehen. In Korea betrat man niemals ein fremdes Haus, ohne sich erst die Schuhe auszuziehen. Das ist ein Zeichen des Respekts und der Reinlichkeit. Hyo Jins Schwester In Jin stoppte mich. Ich sollte ihre Eltern nicht warten lassen. Im gelben Zimmer tauschten wir Belanglosigkeiten über meinen Flug aus. Ich lächelte, sprach wenig und hielt den Blick gesenkt. Ich war unbeschreiblich nervös; ich war noch nie mit der Wahren Familie allein gewesen. Ich war wie gelähmt von einer Mischung aus Furcht Angst und Ehrfurcht und sehr erleichtert, als ich eine Wagentür zuschlagen hörte, was die Ankunft meiner Eltern signalisierte.

Während unsere Eltern sich im Erdgeschoß unterhielten, führte Hyo Jin mich im Haus herum. So riesig es auch erscheinen mochte, wimmelte es im ganzen Haus von Kindern und ihren Kinderfrauen. Bei meiner Ankunft in den Staaten war Mrs. Mun zum 13. Mal schwanger. Die meisten der kleineren Kinder und ihre Babysitter schliefen in jener Nacht bereits in ihren kasernenartigen Zimmern im dritten Stock. Als ich sie in ihren Betten liegen sah, sehnte ich mich schmerzlich nach meinen jüngeren Geschwistern daheim in Korea, vor allem nach dem jüngsten, Jin Chool, der gerade erst sechs Jahre alt war.

Es war schon weit nach Mitternacht, als wir uns von den Muns verabschiedeten, und ein Fahrer meine Eltern und mich nach Belvedere fuhr, jenem Anwesen, das ebenfalls der Kirche gehörte und auf dem Gäste der Wahren Familie untergebracht wurden. Erst zeigte man meinen Eltern ihr Zimmer, dann führte man mich den Flur hinunter zu dem schönsten Schlafzimmer, das ich je gesehen hatte. Der Raum war in Rosa- und Cremetönen gehalten und wäre einer Prinzessin würdig gewesen. Neben dem riesigen Doppelbett gab es eine Sitzecke mit einem großen Sofa und bequemen Sesseln. An der Decke hing ein Kristalllüster, und es gab zwei begehbare Kleiderschränke, die größer waren als manches Zimmer, in dem wir in meiner Kindheit in Seoul gewohnt hatten. Das Bad war gigantisch, und die originalen, handbemalten weißblauen Kacheln spiegelten noch die Eleganz der zwanziger Jahre wieder, in denen das Haus gebaut worden war.

Noch nie hatte ich ein solches Zimmer gesehen. Es gab sogar einen Fernseher. Ich fummelte an der Fernbedienung herum, und obwohl ich kein Wort Englisch verstand, erkannte ich gleich, daß ich eine Art Werbung sah. Ich wünschte, ich hätte ein Photo von meinem Gesichtsausdruck, als ich erkannte, daß es ein Werbespot für Hundefutter war. Spezielles Futter für Hunde? Völlig verblüfft verfolgte ich, wie ein Hund durch eine Küche zu einem Napf voller brauner Brocken trottete. In Korea fressen Hunde Küchenabfälle. In meiner ersten Nacht in Amerika schlief ich überwältigt ein: ich war in einem Land, das so reich war, daß man für Hunde spezielles Futter herstellte!

Am Morgen kam ein Fahrer, um meine Eltern und mich zurück nach East Garden zu fahren, wo wir zusammen mit den Muns im holzgetäfelten Speisesaal frühstückten. Von dort aus erledigt Sun Myung Mun alle geschäftlichen und kirchlichen Angelegenheiten. Jeden Morgen kommen irgendwelche Angestellte, um ihm auf Koreanisch von seinen zahlreichen Unternehmen auf der ganzen Welt zu berichten. An dem langen rechteckigen Tisch entscheidet Mun, in welche Projekte er einsteigen will, welche Gesellschaften er kaufen möchte und welche Angestellten befördert oder degradiert werden sollen.

Die Mun-Kinder nehmen ihre Mahlzeiten nicht zusammen mit ihren Eltern ein. Sie treten jeden Morgen als erstes vor den Frühstückstisch, um sich vor ihren Eltern zu verneigen, und werden dann in die Küche gebracht, wo sie vor der Schule oder dem Spielen frühstücken. An diesem Morgen durften die älteren Kinder mit ihren und meinen Eltern an einem Tisch sitzen. Ich sah die jüngeren, die durch die Küchentür linsten, um einen Blick auf mich, ihre neue Schwester zu werfen. Mir wurde warm ums Herz, als ich ihr Kichern hörte, und war um so schockierter, als ich erfuhr, daß die Mun-Kinder kein Koreanisch sprachen.

Reverend Mun predigte doch, daß Koreanisch die Universalsprache des Himmelreiches wäre. Er hatte geschrieben »Englisch wird nur in den Kolonien des Himmelreiches gesprochen! Wenn die Bewegung der Vereinigungskirche weiter fortgeschritten ist, wird Koreanisch internationale und offizielle Sprache der Vereinigungskirche sein; die offiziellen Konferenzen werden auf Koreanisch abgehalten werden, so wie vergleichbare katholische Konferenzen auf Latein abgehalten werden.« Ich wußte, daß man Mitglieder weltweit ermutigte, Koreanisch zu lernen, und so war ich verwirrt davon, daß Reverend Mun und Mrs. Mun es versäumt hatten, ihren eigenen Kindern jene Sprache beizubringen, von der ich dachte, daß sie die Sprache Gottes wäre.

An diesem Morgen wurde ich überwältigt von den fremdartigen Gerüchen eines amerikanischen Frühstücks. Es gab Speck und Würstchen, Eier und Pfannkuchen. Mir wurde leicht übel beim Anblick all dieser Speisen. In Korea war ich eine schlichte Mahlzeit am Morgen gewöhnt; dort gab es nur Kimchi und Reis. Mrs. Mun hatte die Küchenschwester angewiesen, Papaya zu servieren, ihre Lieblingsfrucht. Sie wußte, daß ich eine so exotische Spezialität noch nie gegessen hatte, und drängte mich, sie zu probieren. Sie zeigte mir, wie man die Frucht mit Zitronensaft beträufelte, um das Aroma zu verstärken, aber ich konnte einfach nichts essen. Sie schien verärgert. Meine Mutter aß die Papaya, die vor mich hingestellt worden war, und lobte Mrs. Mun für ihre hervorragende Wahl.

Reverend Mun spürte mein Unbehagen. Er wandte sich direkt an Hyo Jin. »Nansook ist an einem ihr völlig fremden Ort, in einem fremden Land. Sie spricht weder die Sprache noch ist sie mit den hiesigen Bräuchen vertraut. Das hier ist dein Zuhause. Du mußt lieb zu ihr sein.« Ich war so unendlich dankbar, daß Reverend Mun meinen Ängsten Rechnung trug, daß ich nur am Rande registrierte, daß Hyo Jin nicht antwortete.

Hyo Jin besuchte mich in Belvedere, aber diese Begegnungen waren wenig ermutigend. Sie machten nur noch deutlicher, wie wenig wir zueinander paßten. Ich hatte Angst vor ihm. Er versuchte, mich zu umarmen, und ich entzog mich ihm. Ich wußte nicht, wie man sich einem Jungen gegenüber benahm, ganz zu schweigen von einem Mann, den ich in Kürze heiraten sollte. »Warum läufst du vor mir weg?« fragte er. Wie sollte ich ihm verständlich machen, daß ich zu jung war, um mich selbst zu verstehen? Ich fühlte mich geehrt, als spirituelle Partnerin für den Sohn des Messias ausgewählt worden zu sein, aber ich war noch nicht soweit, die Frau eines Mannes aus Fleisch und Blut zu werden.

Die nächsten Tage waren für mich wie eine Folge aneinandergereihter Traumsequenzen. Ich bewegte mich wie ein Roboter von Szene zu Szene, ganz benommen vor Erschöpfung und den unzähligen Eindrücken, die auf mich einstürmten. Ich ging da hin, wohin man mich schickte. Ich tat, was man mir sagte, allein darauf konzentriert, keine Fehler zu machen und das Mißfallen der Wahren Eltern zu erregen.

Mrs. Mun fuhr mit meiner Mutter und mir zum Einkäufen zu einem Einkaufszentrum in einem Vorort. Ich hatte noch nie so viele Geschäfte gesehen. Mrs. Mun steuerte zielstrebig die teuersten Boutiquen an. Bei Neiman-Marcus suchte sie unvorteilhafte, matronenhafte Kleider in dunklen Farben aus, die ich anprobieren sollte. Für sich selbst wählte sie Sachen in leuchtendem Rot oder Königsblau. Ich schätze, sie verübelte mir damals meine Jugend. Sie hatte am Tag meiner Verlobung ihren Mann sagen hören, ich wäre hübscher als sie. Mir fiel es schwer zu glauben, daß eine so schöne Frau wie Hak Ja Han auf irgendjemanden eifersüchtig sein sollte, erst recht nicht auf ein Schulmädchen wie mich. Sie war nur ein Jahr älter gewesen als ich, als sie Sun Myung Mun geheiratet hatte, und mit 38 und mit ihrem 13. Kind schwanger besaß sie immer noch eine makellose Haut und edle, feine Züge.

Nach außen hin war sie mir gegenüber sehr großzügig, rief mich in der ersten Woche zu sich und schenkte mir ein Kleid, das sie nicht mehr trug, sowie ein hübsches Goldkettchen. Ich zog das Kettchen im Badezimmer wieder aus, als ich das Kleid anprobierte, und ließ es versehentlich auf dem Waschbeckenrand liegen. Sie schickte später ihr Mädchen mit der Kette zu mir. Mrs. Mun öffnete mir ihren Kleiderschrank und ihre Geldbörse. Aber ich spürte, daß sie vom ersten Tag an ihr Herz vor mir verschloß.

Die Stellung der ersten Schwiegertochter innerhalb einer koreanischen Familie ist traditionell mit großem Ansehen verbunden. Sie übernimmt die Rolle der Mutter und wird zur zentralen Figur der ganzen Familie. Es gibt im Koreanischen sogar einen speziellen Ausdruck für die erste Schwiegertochter: mat mea nue ri. Es war von Anfang an klar, daß ich diese Rolle innerhalb der Mun-Familie nicht einnehmen würde. Ich war zu jung. »Ich mußte Mutter erst großziehen«, sagte Reverend Mun immer. Erst viel später erkannte ich, daß man einem Außenstehenden niemals eine Schlüsselrolle innerhalb der Mun-Familie zugestanden hätte. Als Schwiegertochter oder Schwiegersohn mußte man seinen Platz kennen. Für mich bedeutete das, daß ich bei Familienzusammenkünften als letzte Platz nehmen durfte und am weitesten von Sun Myung Mun entfernt saß.

In Anbetracht der Aufmerksamkeit, die die Zollbeamten mir auf dem Flughafen gewidmet hatten, hielt Reverend Mun es für ratsam, tatsächlich einen Klavierwettbewerb zu veranstalten. Ich geriet in Panik. Ich hatte nicht geübt. Ich hatte keine Noten mitgebracht. Meine Mutter beruhigte mich und meinte, ich könnte ein Stück von Schumann spielen, das ich für den Unterricht in Little Angels auswendig gelernt hatte. Ich war einigermaßen beruhigt; ich war ziemlich sicher, dieses Stück noch zu beherrschen. Hyo Jin und Peter Kim, Muns persönlicher Assistent, fuhren mich eines Nachmittags nach New York City, um mir Gelegenheit zu geben, auf der Bühne des Manhattan Center zu proben, einem Zentrum mit Musikstudio in Midtown, das der Kirche gehörte und wo auch der Wettbewerb stattfinden sollte.

Ich saß allein auf dem Rücksitz von einer von Muns schwarzen Mercedes-Limousinen und riß die Augen auf, als die Wolkenkratzer vor uns auftauchten. Ich wußte, daß ich beeindruckt sein sollte, aber es war ein kalter, grauer Januartag, und der einzige Eindruck, der sich mir aufdrängte, war der, daß New York schrecklich leblos wirkte. Rückblickend vermute ich, daß dieser Eindruck wohl mehr mit meinen eigenen Gefühlen zu tun hatte; sie waren so gefroren wie die Betonwüste draußen vor den Wagenfenstern.

Im Manhattan Center trafen wir auf Hoon Sook Pak, die Tochter von Bo Hi Pak, eines der höchsten Kirchenbeamten. Sie war in Hyo Jins Alter, und er hatte während der unruhigen Jahre auf der Mittelschule bei ihrer Familie in Washington DC gewohnt. Sie sollte später Ballerina bei der Universal Ballet Company werden, Koreas erstem Ballettensemble, das von Sun Myung Mun gegründet wurde. Sie begrüßten einander herzlich auf Englisch, obgleich beide auch fließend Koreanisch sprachen. Ich stand stumm daneben, während sie sich endlos unterhielten. Ich konnte fühlen, wie mir brennende Röte in die Wangen stieg. Warum ignorierten sie mich? Warum waren sie so unhöflich? Ich wurde noch wütender, als Hyo Jin mich in einem kleinen Vorzimmer stehen ließ, um mit anderen Leuten zu sprechen. »Warte hier«, befahl er mir, als wäre ich ein kleines Hündchen, das er erst noch erziehen mußte.

Ich fühlte den vertrauten dickköpfigen Stolz in mir aufsteigen, der in meiner Kindheit so viele Auseinandersetzungen mit meinem Bruder Jin provoziert hatte. Sobald Hyo Jin außer Sichtweite war, begab ich mich auf einen Erkundungsrundgang. Das »Zentrum für darstellende Künste« lag gleich neben dem alten New Yorker Hotel, das Sun Myung Mun inzwischen gekauft hatte. Die Kirche bringt in dem Hotel Mitglieder unter; die gesamte 30. Etage ist für die Wahre Familie reserviert, die dort absteigt, wenn sie sich in New York City aufhält. Ich wanderte umher und drehte an Türknaufen verschlossener Räume.

Hyo Jin war wütend, als er bei seiner Rückkehr feststellte, daß sein Hündchen seinen Befehl nicht befolgt hatte. »Du kannst nicht einfach so wegrennen. Du bist hier in New York City. So etwas ist gefährlich«, herrschte er mich an. »Es hätte dich jemand entführen können.« Ich entgegnete nichts darauf, dachte aber bei mir: »Wer sollte mich schon entführen?« Am meisten ärgerte mich aber, daß dieser unhöfliche Flegel meinte, er könne mich herumkommandieren.

Am Abend meines Auftritts füllten Hunderte von Kirchenmitgliedern den Konzertsaal. Ich gestaltete nur einen kleinen Teil des Abendprogramms und spielte als dritte von zahlreichen Pianisten. Ich trug ein langes pinkfarbenes Kleid, das meine Mutter mir vor meiner Abreise aus Korea gekauft hatte. Mir war ganz übel, wenngleich ich nicht wußte, ob das an den Sushi lag, die ich zu Mittag gegessen hatte, oder daran, daß ich vor der Wahren Familie spielen sollte, die in der VIP-Loge des Saales saß. In Jin, Hyo Jins Schwester, gab mir ein Mittel gegen Übelkeit zu trinken. Es half. Für mich gehörte die rosa Flüssigkeit ebenso wie Hundefutter zu den Wundem Amerikas.

Ich spielte viel zu schnell. Das Publikum erkannte nicht sofort, daß ich schon fertig war, so daß eine Pause entstand, ehe es applaudierte. Ich war mehr als erleichtert, daß ich das Stück mit nur einigen kleinen Patzern hinter mich gebracht hatte. Sobald ich wieder hinter die Bühne trat, forderten Hyo Jin und In Jin mich auf, mich umzuziehen. Ich tat, was sie sagten, nicht ahnend, daß am Ende der Darbietung ein Vorhang für alle Teilnehmer vorgesehen war. Da ich aber nicht in Straßenkleidung auf die Bühne gehen konnte, verzichtete ich darauf, mich zusammen mit den anderen vor dem Publikum zu verneigen.

In der Suite der Muns im New Yorker zeigte sich Reverend Mun nach der Veranstaltung so zufrieden mit dem Abend, daß er entschied, daß der Klavierwettbewerb zu einer alljährlichen Einrichtung werden sollte. Mrs. Mun ihrerseits war mir gegenüber eisig. »Warum hast du dich nicht am Ende zusammen mit den anderen verneigt?« fuhr sie mich an. »Warum hast du dich umgezogen?« Ich war perplex. Was sollte ich sagen? Daß ich nur getan hatte, was ihr Sohn mir aufgetragen hatte? Hyo Jin sah, wie ich mich wand, sagte jedoch nichts. Und so neigte ich nur den Kopf und ließ die Schelte über mich ergehen.

Wie sich herausstellte, war mein Fehlen auf der Bühne am Ende der Veranstaltung nicht mein erster Fauxpas. Mrs. Mun hatte meine Fehler aufmerksam verfolgt und zählte sie am nächsten Tag in Anwesenheit meiner Mutter auf. Es war unhöflich von mir gewesen, ihr Haus zu betreten, ohne mir vorher die Stiefel auszuziehen; es war nachlässig von mir gewesen, das Goldkettchen am Waschbeckenrand liegen zu lassen; es war undankbar von mir gewesen, bei den Mahlzeiten im Essen herumzustochern; es war gedankenlos von mir gewesen, mich am Ende des Wettbewerbs nicht zusammen mit den anderen Teilnehmern zu verbeugen. Darüber hinaus erzählte sie meiner Mutter, daß Hyo Jin sich darüber beschwert habe, daß ich Mundgeruch hätte. Mrs. Mun schickte meine Mutter mit einem Haufen Ermahnungen und einer Flasche Mundwasser zu mir.

Ich war niedergeschmettert. Wenn es stimmte, daß der erste Eindruck entscheidend war, war meine Beziehung zu Mrs. Mun schon in der ersten Woche in Amerika zum Scheitern verurteilt.

Die Hochzeit sollte am Samstag, den 7. Januar, stattfinden, damit sie mit dem Unterricht der Mun-Kinder vereinbar war. Eine Heiratsurkunde gab es nicht. Wir hatten keinen Bluttest machen lassen, und ich war ein Jahr unter dem heiratsfähigen Alter, das der Staat New York festgesetzt hatte. Meine heilige Ehe mit Hyo Jin Mun war keine legale Verbindung. Nicht, daß ich hiervon etwas gewußt oder es mich interessiert hätte. Die Autorität Sun Myung Muns war die einzige Instanz, die zählte.

Am Morgen frühstückten wir zusammen mit Reverend Mun und Mrs. Mun. Meine Mutter drängte mich, etwas zu essen. Es würde ein langer Tag werden. Es sollte zwei Zeremonien geben: eine westliche in der Bibliothek von Belvedere, bei der ich ein langes weißes Kleid und einen Schleier tragen sollte, und anschließend eine zweite, traditionelle koreanische Hochzeit, bei der Hyo Jin und ich traditionelle Hochzeitskleidung unseres Heimatlandes tragen würden. Anschließend war ein Bankett in New York City geplant.

Meine Mutter fragte Mrs. Mun, ob ich von einem Profi frisiert und geschminkt werden solle. Geldverschwendung, meinte Mrs. Mun knapp. In Jin solle mir helfen. Ich verehrte In Jin als Mitglied der Wahren Familie, aber ich war mir nicht sicher, ob ich sie als Freundin betrachten konnte. Sie tat alles, was ihre Eltern von ihr verlangten, und tatsächlich lobten sie sie für ihre Freundlichkeit mir gegenüber, aber ich spürte, daß sie im Grunde ebenso wenig mit mir anfangen konnte wie Hyo Jin. Als sie Puder auf mein Gesicht auftrug, gab sie mir einen Rat. Ich müsse mich ändern, und zwar schnell, wenn ich mich in den Kreis der Mun-Kinder einfügen und vor allem, wenn ich meinem Mann gefallen wolle. »Ich kenne Hyo Jin besser als jeder andere«, sagte sie. »Er mag keine stillen Mädchen. Er hat gerne Spaß, liebt Partys. Du mußt extrovertierter werden, wenn du ihn glücklich machen willst.«

Hyo Jin machte einen ganz glücklichen Eindruck, als er vor der Trauung bei mir vorbeischaute, aber ich wußte, daß nicht ich der Grund für seine gute Laune war. An diesem Tag würde er der Liebling seines Vaters sein, der gute Sohn und nicht das schwarze Schaf. Er ließ sich seinen Eltern zuliebe sogar überreden, sich das lange, zottelige Haar schneiden zu lassen.

Als ich allein den langen Flur hinunterging, der zur Bibliothek und in meine Zukunft führte, flüsterte eine alte Koreanerin mir zu: »Lächle nicht, sonst wird dein erstes Kind ein Mädchen.« Dieser Rat war leicht zu befolgen, und das nicht nur, weil ich wußte, mit welcher Enttäuschung man in meiner Kultur Geburten von Mädchen begegnete. Mein Hochzeitstag hätte der glücklichste Tag in meinem Leben sein sollen, aber ich fühlte mich nur benommen. Wenn ich die Photos in meinem Hochzeitsalbum betrachte, könnte ich um das Mädchen weinen, das ich damals war. Ich sehe auf den Bildern sogar noch unglücklicher aus als ich mich tatsächlich fühlte.

Rechts und links von mir drängten sich Menschen, als ich die Bibliothek betrat und durch den Raum auf Reverend Mun und Mrs. Mun in ihren langen weißen zeremoniellen Roben zuging. In der Bibliothek war es sehr heiß, und der Raum war brechend voll mit Menschen, die mir bis auf meine Eltern allesamt fremd waren. Es war ein beeindruckender Raum, dessen dunkle, holzgetäfelte Wände mit alten ungelesenen Büchern bedeckt waren und von dessen hoher Dekke schwere Lüster hingen. In dieser Umgebung fiel es mir nicht schwer zu glauben, daß ich Gottes Willen für mich und die Zukunft der Wahren Familie erfüllte, die von ihm selbst beauftragt worden war, das Himmelreich auf Erden zu schaffen. Ich war nur ein Instrument zur Verwirklichung des göttlichen Plans. Die Ehe von Hyo Jin Mun und Nansook Hong war keine alberne Verbindung zweier Menschen, die einander liebten. Gott und Sun Myung Mun hatten uns zusammengeführt und diese Ehe befohlen.

Drüben in Belvedere nahm eine kleinere Gruppe von Verwandten und Kirchenführern an der koreanischen Zeremonie teil. Ich mußte erfahren, daß die Muns auch die bedeutungsvollsten Ereignisse im Leben immer mit Eile erledigten, so daß ich kaum Zeit gehabt hatte, mein Haar im traditionellen Stil zu frisieren, als ich auch schon gerufen wurde. Allerdings hatte ich vergessen, meine Wangen der Tradition gemäß rot zu schminken, ein Versäumnis, das Mrs. Mun und den Damen aus ihrem Gefolge sofort auffiel. Hyo Jin und ich standen vor den Wahren Eltern an einem Opfertisch, auf dem sich Speisen und koreanischer Wein türmten. Obst und Gemüse wurden unter meinem Rock verteilt, im Rahmen eines folkloristischen Brauchs, der den Wunsch der Frau auf zahlreiche Kinder symbolisiert.

An die eigentliche Trauung kann ich mich nur bruchstückhaft erinnern. Ich war so müde, daß ich mich am Blitzlicht des offiziellen Kirchenphotographen orientierte, um nicht einzuschlafen, und dankbar für Anweisungen wie »Stell dich hierher« oder »Sag das.« Solange ich in Bewegung blieb, würde ich nicht zusammenbrechen.

Ein Fahrer brachte Hyo Jin und mich zurück nach East Garden, damit wir uns für den Empfang im Ballsaal des Manhattan Center umziehen konnten. Der Chauffeur brachte uns zu einem kleinen Steinhaus an einem Hang oberhalb des Haupthauses. Mit der weißen Veranda und der hübschen Steinfassade sah es aus wie aus einem Märchen. Hier sollten Hyo Jin und ich wohnen. Wir nannten es Cottage House. Im Erdgeschoß gab es ein Wohnzimmer, ein Gästezimmer und eine Küche; oben ein kleines Bad und zwei Schlafzimmer. Ich sah, daß unsere Koffer in das größere der beiden Schlafzimmer gebracht worden waren.

Hyo Jin bestand darauf, daß wir sofort miteinander schliefen. Ich flehte ihn an, bis zum Abend zu warten – die Wahren Eltern erwarteten von uns, in einer Stunde abfahrbereit zu sein aber er ließ sich nicht davon abbringen. Ich wollte mich ihm nicht nackt zeigten, und so schlüpfte ich unter die Bettdecke, um mich auszuziehen. Dies sollte mir in den kommenden 14 Jahren zur Gewohnheit werden. Ich hatte zwar die Bücher gelesen, die meine Mutter mir gegeben hatte, war aber dennoch völlig unvorbereitet auf den tatsächlichen Geschlechtsakt. Als Hyo Jin sich auf mich legte, wußte ich nicht, was ich zu erwarten hatte. Er war sehr grob, sehr erregt bei dem Gedanken, ein unberührtes junges Mädchen zu entjungfern. Er sagte mir, was ich tun sollte, wo er berührt werden wollte. Ich befolgte alle seine Anweisungen. Als er in mich eindrang, mußte ich an mich halten, um nicht vor Schmerz aufzuschreien. Er brauchte nicht sehr lange, aber ich hatte noch Stunden später Schmerzen im Unterleib. »Das ist also Sex«, dachte ich immer wieder.

Ich fing an zu weinen, vor Schmerz, vor Erschöpfung und vor Scham. Ich empfand es als falsch, daß wir nicht gewartet hatten. Hyo Jin bedrängte mich den ganzen Abend. Ob es mir gefallen habe, wollte er wissen. Ich wäre ganz wund, entgegnete ich. Er sagte, über Schmerzen hätte ihm gegenüber noch keine geklagt, womit er die Gerüchte bestätigte, die mir in Korea zu Ohren gekommen waren. Hyo Jin hatte viele Frauen gehabt. Ich war schockiert und verletzt, daß er diese Sünde so beiläufig und unverblümt eingestand. Ich weinte noch heftiger, bis er mich anfuhr und zwang, meine Tränen herunterzuschlucken. Wenigstens wußte ich jetzt, was Sex war und wer mein Mann war. Sex war grauenhaft, und er war nicht besser.

Während wir uns ankleideten, rief eine Küchenschwester nach oben, daß die Wahren Eltern im Wagen auf uns warteten. Wir hasteten nach unten und nahmen vom in der schwärzen Limousine Platz. Mrs. Mun sah mich strafend an. »Was hat euch so lange aufgehalten?« fragte sie schroff. »Eure Gäste warten.« Hyo Jin sagte nichts, aber unsere erhitzten Gesichter und unsere sichtlich in aller Hast übergestreiften Kleider verrieten deutlich, was geschehen war. Ich war froh, daß die Muns hinten saßen und die Scham nicht sehen konnten, die mir ins Gesicht geschrieben stand.

Ich schlief auf der Fahrt nach Manhattan ein, aber die Ruhepause war nur von kurzer Dauer. Im Ballsaal des Manhattan Centers waren Tische aufgestellt worden, an denen Hunderte von Menschen saßen, vornehmlich amerikanische Mitglieder der Kirche. Sie jubelten, als wir eintraten und am Ehrentisch Platz nahmen. Ich war die ganze Aufregung leid, aber vor mir lagen noch endlose Stunden des Feierns. Es gab eine typisch amerikanische Mahlzeit mit Steaks, Folienkartoffeln, Eiscreme und Kuchen. Meine Mutter drängte mich zu essen, aber für mich schmeckte alles wie Watte. Obwohl eine Show im koreanischen Stil stattfand, wurde den ganzen Abend hindurch nur Englisch gesprochen. Ich verstand kein Wort von den zahlreichen Reden und Toasts auf Hyo Jin und mich. Ich lächelte, wenn alle anderen lächelten, und applaudierte, wenn alle anderen applaudierten.

Die Sprachbarriere machte mich zu einem Zuschauer auf meiner eigenen Hochzeit: Ich war mitten drin, aber nicht wirklich Teil des Ganzen. Ich schaute auf die Muns, die sangen und klatschten. Alle sahen so glücklich aus. Es war ganz interessant zuzusehen. Ich wurde aus meiner Isolation gerissen, als mein Vater, der ebenfalls kein Englisch sprach, meinte, daß man von mir erwarten würde, ein paar Worte zu sagen. »Auf Englisch?« fragte ich panisch. »Nein, nein«, beruhigte er mich. »Hyo Jin wird für dich übersetzen.« Mein Vater riet mir, mich kurz zu fassen und zu versprechen, Hyo Jin eine gute Frau zu sein. Als es soweit war, befolgte ich den Rat meines Vaters. Im ganzen Saal wurden seitens der nichtkoreanischen Gäste Rufe laut. »Was hat sie gesagt?« wollten sie wissen. »Ach, nichts von Bedeutung«, entgegnete Hyo Jin und fuhr mit seiner eigenen Ansprache auf Englisch fort, die mit tosendem Applaus quittiert wurde.

Ich behielt beim Klatschen die Hände im Schoß. Reverend Mun forderte mich auf, sie über die Tischkante zu heben und deutlicher zu klatschen, um meine Freude an meinem Hochzeitstag zu bekunden sowie mein Glück darüber, mit Hyo Jin vereint worden zu sein. Ich gehorchte und dachte dabei: »Ich bin ein solcher Idiot. Kann ich denn gar nichts richtig machen?«

Es wurde noch weitergefeiert, lange nachdem wir selbst nach East Garden zurückgekehrt waren. In Korea ist es Tradition, dem Bräutigam mit einem Stock auf die Fußsohlen zu schlagen für seinen symbolischen Raub der Braut. Daheim im Cottage zog Hyo Jin mehrere Paar Sokken übereinander für diese traditionelle Züchtigung. Die Wahren Eltern lachten, als die Kirchenführer Hyo Jins Füße an den Knöcheln fesselten, damit er nicht weglaufen konnte. Bei jedem Hieb auf Hyo Jins Fußsohlen erhob sein Vater mit vorgetäuschtem Zorn Einspruch. »Hört auf, ich gebe euch Geld, wenn ihr aufhört, meinen Sohn zu schlagen.« Die Männer, die den Stock führten, strichen das Geld ein und setzten die Züchtigung dann fort. »Ich gebe euch noch mehr Geld, wenn ihr aufhört«, rief Reverend Mun, und wieder wurde viel gelacht, als die Männer sich Vaters Geld in die Taschen stopften und ihre »Mißhandlung« Hyo Jins fortsetzten.

Ich verfolgte das Geschehen von einem weichgepolsterten Sessel aus, in dem ich jeden Moment einzuschlafen drohte. Alle machten Bemerkungen über meine Zurückhaltung. »Sie verlangt nicht von ihnen, daß sie aufhören, ihren Mann zu schlagen.« Ich war nicht still, ich war benommen. Auf Drängen der Anwesenden versuchte ich, Hyo Jins Fesseln zu lösen, aber ich war so müde, daß Hyo Jin sich schließlich selbst befreien mußte.

Am nächsten Morgen versammelten wir uns alle am Frühstückstisch der Muns. Hyo Jin verschwand bald wieder, aber ich wußte nicht, wohin. Ich blieb, um auf die Wahren Eltern zu warten. Ich war nicht sicher, wie meine Stellung innerhalb der Mun-Familie sein würde, und mein frischgebackener Ehemann war mir auch keine große Hilfe. Und so verfiel ich unwillkürlich in die Rolle einer Dienstmagd von Mrs. Mun.

Erst nach der Hochzeit wurde das Thema Hochzeitsreise angesprochen. Hyo Jin wollte nach Hawaii, aber Reverend Mun schlug statt dessen Florida vor. Unsere Hochzeitsreise war kein gewöhnlicher Honeymoon. Wir gaben ein sonderbares Gespann ab: Ehemann, Ehefrau und der persönliche Assistent Sun Myung Muns. Mun hatte seiner rechten Hand, Peter Kim, 5000 Dollar in die Hand gedrückt mit der Anweisung, uns nach Florida zu bringen. Niemand sagte mir, wohin wir fuhren oder was wir dort tun würden. Meine Mutter packte angesichts der Förmlichkeit in East Garden einen Koffer voller eleganter Kleider für mich, und ich stopfte noch eine Jeans und ein T-Shirt hinein.

Peter Kim und Hyo Jin saßen vorn in dem blauen Mercedes; ich saß allein im Fond. Sie unterhielten sich auf der ganzen 1100 Meilen langen Fahrt an die Küste auf Englisch. Ich fühlte mich ausgeschlossen und überflüssig. Die beiden Männer entschieden, wo und wann wir halt machten, um zu essen oder zu schlafen. Ich erinnere mich, daß ich im Waschraum einer Tankstelle mit den Tränen kämpfte, weil ich nicht dahinterkam, wie der Handtrockner funktionierte. Ich dachte, ich hätte ihn kaputt gemacht, als er nicht mehr aufhörte, warme Luft auszupusten. Es war ein kurzer, aber sehr einsamer Augenblick. Eine solche Kleinigkeit, aber ich hatte niemanden, den ich fragen konnte.

Meine Laune hob sich ein wenig, als wir in Florida eintrafen und Peter Kim einen Abstecher nach Disney World vorschlug. Ich war ein 15jähriges Mädchen und hätte mir keinen schöneren Ferienort denken können. Hyo Jin zeigte sich von dem Vorschlag jedoch wenig begeistert. Er war schon sehr oft dort gewesen. Widerwillig erklärte er sich mit einem Zwischenstopp in Orlando einverstanden. Es nieselte, und ich fror, aber das war mir egal. Ich ging die Main Street USA hinunter auf Aschenputtels Schloß zu und verstand sofort, warum man Disney World als Magic Kingdom, das verzauberte Königreich, bezeichnete. Ich hielt Ausschau nach Micky Maus oder einer anderen der vertrauten Figuren, bekam jedoch keine Gelegenheit, auch nur eine von ihnen zu sehen. Zehn Minuten nach unserer Ankunft meinte Hyo Jin, er langweile sich und wolle gehen. Ich war verblüfft von seinem Egoismus, folgte ihm jedoch brav zurück zum Mercedes.

Reverend Mun hatte vorgeschlagen, daß wir mit dem Wagen nach Florida fuhren, damit ich etwas von den Vereinigten Staaten zu sehen bekam, aber Hyo Jin verlor auch diesbezüglich bald die Geduld. Er ließ einen Wachmann von East Garden nach Florida fliegen, um den Wagen abzuholen. Wir würden nach Las Vegas fliegen, eröffnete er mir.

Ich hatte keine Ahnung, wo oder was Las Vegas war, und weder Hyo Jin noch Peter Kim machten sich die Mühe, mich aufzuklären. Und sie verrieten mir auch nicht, daß die Muns und meine eigenen Eltern dort Urlaub machten. Ich wußte nichts davon, daß wir uns mit unseren Eltern treffen sollten, bis wir im Hotelrestaurant den Tisch ansteuerten, an dem sie saßen. Meine Mutter schimpfte, weil ich abwesend den Blick durch den Raum hatte schweifen lassen, als ich auf sie zugegangen war. Ich erklärte ihr, ich wäre nicht respektlos gewesen, ich hätte nur nicht gewußt, daß die Muns und sie dort wären!

Ich war noch verwirrter, als ich erfuhr, daß Las Vegas ein Glücksspielparadies war. Überall in den Restaurants, Kasinos und Hotels gab es »einarmige Banditen«. Was machten wir alle an einem Ort wie diesem? Glücksspiele waren in der Vereinigungskirche streng verboten. Jegliche Form des Wettens wurde als gesellschaftliches Übel betrachtet, das die Familie unterminierte und zum moralischen Verfall der Zivilisation beitrug. Warum hielt dann Hak Ja Han Mun, die Mutter der Wahren Familie, einen Becher mit Münzen umklammert, mit denen sie reihenweise die Geldautomaten fütterte? Warum verbrachte Sun Myung Mun, der Zweite Messias, der göttliche Nachfolger des Mannes, der Geldwechsler aus dem Tempel geworfen hatte. Stunden am Blackjack-Tisch?

Ich wagte nicht zu fragen, aber das war auch überflüssig. Reverend Mun beeilte sich, mir unsere Anwesenheit in einer solchen Lasterhöhle zu erklären. Er sagte, daß es für ihn als Zweiten Messias eine Pflicht wäre, sich unter die Sünder zu mischen, um diese zu erretten. Er müsse ihre Sünde begreifen, um sie von ihr zu befreien. Sicher wäre mir schon aufgefallen, daß er nicht selbst beim Blackjack saß und Geld setzte. Peter Kim saß für ihn am Tisch, während er hinter seinem Assistenten stand und ihm bezüglich der Geldeinsätze Anweisungen gab. »Du siehst also, daß ich nicht wirklich am Glücksspiel teilnehme«, erklärte er.

Auch wenn ich erst fünfzehn war und er der Messias, durchschaute ich dies als dreiste Verdrehung der Tatsachen.



Ich mit meinem ersten Baby vor dem Haus in East Garden.


5. Kapitel

Ich kehrte zwar als in den Augen der Vereinigungskirche verheiratete Frau nach East Garden zurück, aber trotz allem war ich noch ein Kind und schulpflichtig. Sofern ich noch Zweifel hatte bezüglich meines Status als Familienmitglied zweiter Klasse, machte die Diskussion bezüglich meiner Weiterbildung meinen Stand überdeutlich.

Mit Ausnahme meines frisch angetrauten Gatten, der mit neunzehn Jahren die High-School noch nicht abgeschlossen hatte, besuchten die schulpflichtigen Kinder der Muns eine Privatakademie in Tarrytown. Mrs. Mun äußerte klipp und klar, daß sie nicht beabsichtigte, die 4500 Dollar Schulgeld, die Hackley jährlich verlangte, für ihre Schwiegertochter zu übernehmen. Eine öffentliche Schule würde genügen müssen.

Anfang Februar fuhr Peter Kim mich zur Irvington High-School, um mich für die zehnte Klasse anzumelden. Vorher machten wir an einem kleinen Laden halt und kauften ein Heft und ein paar Stifte. Ich sollte unter meinem Mädchennamen Nansook Hong eingeschrieben werden; niemand sollte von meiner Ehe oder meiner Beziehung zur Familie Mun wissen. Peter Kim stellte sich dem Schuldirektor als mein Vormund vor. Meine Zeugnisse würden an ihn geschickt werden.

Auf der Little Angels Art School in Seoul hatte ich zu den besten zehn Prozent meiner Klasse gehört, aber der Gedanke, eine amerikanische Schule zu besuchen, erfüllte mich mit panischer Angst. Ich folgte Peter Kim durch die lärmenden Flure der typischen ländlichen High-School und ließ das Gelächter und die lässige Kleidung der Teenager, die an uns vorbeistürmten, auf mich wirken. Wie sollte ich mich je in dieser Umgebung von Ausgelassenheit und High-School-bällen einfügen? Wie sollte ich auch nur die Englisch sprechenden Lehrer verstehen? Und wie sollte ich zu Hause ernsthaftes Lernen und die Pflichten einer gehorsamen Ehefrau unter einen Hut bringen? Wie sollte ich bei diesem Doppelleben etwas anderes sein als einsam?

Ich stand jeden Morgen um 6.00 Uhr früh auf, um Reverend Mun und Mrs. Mun beim Frühstück zu begrüßen. Am frühen Morgen herrschte in der Küche des Haupthauses regelmäßig das reinste Chaos. Niemand wußte je genau, um wieviel Uhr die Herrschaften herunterkommen würden, aber wenn sie dann kamen, erwarteten sie, daß das Frühstück augenblicklich aufgetragen wurde. Die zwei Köche und ihre drei Helfer hatten immer einen Hauptgang vorbereitet, aber es kam des öfteren vor, daß sie in aller Hast umdisponieren mußten, weil die Muns plötzlich etwas anderes wünschten. Ich hatte immer schon eine Kleinigkeit in der Küche gegessen, wenn die Muns schließlich mit einer Schar von Kirchenführern erschienen. Ich fiel auf die Knie und verneigte mich tief, wenn sie eintraten, und wartete dann darauf, entlassen zu werden, um mich von einem Chauffeur zur Schule fahren zu lassen.

Gewöhnlich war ich morgens sehr müde, weil Hyo Jin nie vor Mitternacht nach Hause kam und dann meist noch mit mir schlafen wollte. Meistens war er betrunken, torkelte die Treppe vom Cottage Haus hinauf und stank nach Tequila und kaltem Zigarettenrauch. Ich gab meist vor zu schlafen, in der Hoffnung, er werde mich in Frieden lassen, aber das tat er nur selten. Ich war da, um seine Bedürfnisse zu erfüllen; meine eigenen waren unerheblich.

Morgens schlich ich auf Zehenspitzen durch unser Schlafzimmer, auch wenn kaum die Gefahr bestand, meinen Mann zu wecken. Er schlief immer tief und fest bis weit in den Tag hinein; manchmal schlief er sogar noch, wenn ich aus der Schule heimkam. Dann stand er auf, duschte und fuhr nach Manhattan, um durch seine bevorzugten Nachtclubs, Hotelbars und koreanischen Bars zu ziehen. Mit neunzehn bekam er in den Etablissements mit koreanischer Leitung problemlos alles, was er wollte. Oft nahm er seinen jüngeren Bruder Heung Jin, damals fünfzehn, und seine sechzehnjährige Schwester In Jin mit auf seine nächtlichen Sauftouren.

Hyo Jin lud mich einmal ein, mich ihnen anzuschließen. Wir fuhren zu einem verräucherten koreanischen Nachtclub. Es war offensichtlich, daß die Mun-Kinder dort Stammkunden waren; sämtliche Bedienungen begrüßten sie herzlich, und eine von ihnen brachte Hyo Jin eine Flasche Gold Tequila und ein Päckchen Zigaretten. In Jin und Heung Jin tranken mit ihm von dem Tequila, während ich an einer Coca-Cola nippte.

Ich versuchte vergeblich, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Was machten wir an einem solchen Ort? Meine ganze Kindheit hatte man mich gelehrt, daß Mitglieder der Vereinigungskirche keine Bars besuchten, daß Anhänger Sun Myung Muns keinen Alkohol tranken und nicht rauchten. Wie konnte ich mit den Wahren Kindern Reverend Muns an einem solchen Ort sitzen und Zusehen, wie sie LaStern frönten, die Vater auf seinen Reisen um die ganze Welt anprangerte?

Aber in dem Spiegelkabinett, das ich betreten hatte, war nicht ihr Verhalten das Problem, sondern das meine. »Warum bist du so?« fragte Hyo Jin, bevor er sich abwandte und an einen anderen Tisch ging. »Du verdirbst allen die Laune. Wir sind hergekommen, um uns zu amüsieren, und nicht, um deinen Babysitter zu spielen.« In Jin setzte sich auf den freien Stuhl neben mir. »Hör auf zu flennen, oder Hyo Jin wird sehr wütend werden«, warnte sie mich schroff. »Wenn du dich so aufführst, wird er dich nie gern haben.« Ich hatte keine Zeit mehr, mich zu fassen, als mein Mann auch schon rief: »Gehen wir. Wir bringen sie nach Hause.«

Auf der langen Rückfahrt nach East Garden sprach niemand ein Wort mit mir. Im stickigen Inneren der Limousine war ihre Verachtung fast greifbar. »Weine nicht«, sagte ich mir immer wieder. »Bald bist du zu Hause.« Kurz bevor Hyo Jin mich absetzte, holte er eine meiner Klassenkameradinnen ab, ein Gesegnetes Kind, das die Leidenschaft der Mun-Geschwister für Spaß teilte. Sie zwängte sich zu uns auf den Rücksitz und beachtete mich gar nicht. Fast hinterließen sie Reifenspuren auf der Auffahrt, so eilig hatten sie es, nach New York zurückzukehren.

Das war die erste von zahlreichen Nächten, in denen ich mich in den Schlaf weinte. Stundenlang kniete ich neben dem Bett und flehte Gott um Hilfe an. »Wenn du mich hergeschickt hast, um deinen Willen zu tun«, betete ich, »dann führe mich bitte.« Ich glaubte mit jeder Faser meines jungen Herzens daran, daß wenn ich Gott in diesem Leben enttäuschte, mir im nächsten Leben ein Platz im Himmel verwehrt bleiben würde. Was nützt ein glückliches irdisches Dasein, wenn man hinterher nicht in Gottes Reich einkehrt?

Am nächsten Morgen waren meine Knie ganz aufgeschürft vom langen Knien auf dem Teppich, als Mutter mich zu sich rief. Hyo Jin und die anderen waren noch nicht wieder zu Hause. Sie wollte wissen, wo sie wären. Warum war ich nicht bei ihnen? Vor ihr kniend, berichtete ich weinend von den Ereignissen des vergangenen Abends. Es war eine Erleichterung, diese schreckliche Bürde mit Mutter zu teilen. Vielleicht würde sich jetzt etwas ändern. Mrs. Mun wurde sehr wütend, aber nicht etwa auf Hyo Jin, wie ich erwartet hatte. Sie war wütend auf mich. Ich wäre ein dummes Ding, schimpfte sie. Was ich denn glaubte, warum man mich nach Amerika geholt hatte? Es sei meine Mission, Hyo Jin zu ändern. Ich ließe Gott und Sun Myung Mun im Stich. Es läge bei mir, dafür zu sorgen, daß Hyo Jin lieber daheim blieb.

Wie sollte ich ihr begreiflich machen, daß es an den Abenden, die ihr Sohn zu Hause verbrachte, nicht besser war? Er hatte das Wohnzimmer des Cottage House zum Übungsraum für seine Rock ’n’ Roll-Band umfunktioniert, der »U Band«. Ich haßte ihre nächtlichen Proben. Das ganze Haus bebte, wenn sie spielten oder auf Hyo Jins Stereoanlage Musik hörten. Hyo Jin meinte, meine Ausbildung in klassischer Musik hätte mich zum Snob gemacht. Aber meine Abneigung gegen seine Band hatte weniger mit der Musik zu tun, die sie spielten, als mit der Art, wie seine Freunde sich in unserem Haus aufführten. Bandmitglieder fanden sich schon am frühen Abend ein, und meist gesellten sich Gesegnete Kinder aus der Umgebung ein. Kaum hörte ich, wie sie ihre Gitarren stimmten, wehte auch schon der Geruch von Marihuana nach oben in das Zimmer, in dem ich über meinen Hausaufgaben saß.

Mein Entsetzen belustigte Hyo Jin und seine Freunde nur, aber die Wahrheit ist, daß ich hin und her gerissen war in meinen Gefühlen für sie. Ich wollte nichts Verbotenes tun, war aber andererseits sehr einsam oben mit meinen Schulbüchern. Ich wollte nicht mit ihnen zusammen sein, sehnte mich aber danach, daß man mich dazu einlud. Meine Welt stand Kopf; auf der einen Seite wurde ich von Gleichaltrigen verspottet, weil ich an das glaubte, was man mich von kleinauf gelehrt hatte, und auf der anderen Seite wurde ich von den Erwachsenen gescholten wegen Verfehlungen, derer ich mich gar nicht schuldig gemacht hatte.

Wie sollte ich Mrs. Mun klarmachen, daß die Barbesuche ihrer Kinder die geringste ihrer Sünden waren? Ich nahm ihre Vorwürfe schweigend hin. Kurze Zeit später rief Mrs. Mun meine Mutter in ihr Zimmer, um ihr meine Verfehlungen aufzuzählen. In Jin hatte ihr berichtet, daß ich meinen Ehering in der Schule getragen hatte und mich nach Hyo Jins ehemaligen Freundinnen erkundigt habe.

Ich hatte nichts dergleichen getan, aber es war mir unmöglich, mich gegenüber den Wahren Eltern zu verteidigen, ohne ihre eigenen Kinder zu kritisieren, und das war undenkbar. Ich versuchte, meiner eigenen Mutter meine Situation begreiflich zu machen, aber der einzige Rat, den sie mir gab, war, die Wahre Familie nach Möglichkeit nicht zu verärgern. Ich sollte vorsichtig sein mit dem, was ich sagte. Ich müßte darum beten, würdiger zu werden. Das erschien mir unmöglich. Ich wurde ständig nur kritisiert und für schuldig befunden, ohne daß man mir eine faire Chance einräumte, mich zu verteidigen. Zu oft fälschlich beschuldigt, begann ich, jedem zu mißtrauen.

Wie sehr ich wünschte, mein Vater oder mein Bruder Jin kämen nach Amerika! Die Muns hatten meinen Vater kurz nach der Trauung nach Korea zurückgeschickt, und auch Jin war noch dort, um die High-School abzuschließen. Im übrigen wartete er noch auf das Visum, das es ihm gestatten würde, zu seiner Frau Je Jin Mun in die Staaten zu reisen. Ich wußte, daß Jin mit seinem eigenen Leben beschäftigt sein würde, wenn er herkam. Er hatte davon gesprochen, nach Harvard zu gehen, und Reverend Mun schien geneigt, ihn auf das Elitecollege zu schicken, da die akademischen Erfolge meines Bruders dem Messias zur Ehre gereichen würden. Ich freute mich für Jin, war aber um meiner selbst willen traurig; ich würde in East Garden bleiben müssen, umgeben von Menschen, die mich haßten.

Nur Un Jin Mun, die dritte Tochter Sun Myung Muns, war eine Ausnahme. Sie war ein Jahr jünger als ich und verstand sich auch nicht besonders gut mit ihrer Schwester In Jin. Wir freundeten uns kurz nach meiner Ankunft in East Garden an. Ich werde immer dankbar sein für die Freundschaft, die mir Un Jin in jenen ersten Monaten entgegenbrachte. Alles war noch so neu, und ich hatte solche Angst, etwas falsch zu machen. So erschien ich beispielsweise zum Gelöbnis an meinem ersten Sonntagmorgen in den Staaten in meinem langen weißen Kirchengewand, um dann festzustellen, daß alle Muns Anzug oder Kleid trugen. Ich schämte mich, wie sich nur ein Teenager schämen kann, wenn er irgendwo falsch gekleidet erscheint. Ich war schrecklich verlegen wegen meiner Unwissenheit und verletzt, daß sich niemand die Zeit genommen hatte, mich in gewisse Verhaltensregeln einzuweisen. Un Jin übernahm diese Aufgabe und erzählte mir danach bereits vorher, was mich bei Familienzusammenkünften und Kirchenzeremonien erwartete.

Der Gelöbnis-Gottesdienst fand in einem Arbeitszimmer statt, das an das Schlafzimmer der Muns grenzte. Ich war verblüfft, als ich feststellte, daß die Mun-Kinder nicht mit dem Gelöbnis-Text vertraut waren, den ich selbst auswendig kannte, seit ich sieben war. Nach dem Gebet brachten die Kirchenschwestern einen kleinen Imbiß für die Wahre Familie: Saft, Käsekuchen, Donuts und Blätterteiggebäck. Ich bediente die Wahren Eltern, bis es um 6.00 Uhr an der Zeit war, nach Belvedere zu gehen, wo Reverend Mun jeden Sonntag vor den örtlichen Mitgliedern predigte.

Für mich als junge Frau war es eine Ehre, Sun Myung Mun jede Woche predigen zu hören. Er sprach Koreanisch, so daß ich ihm leicht folgen konnte, während die Amerikaner sich mit der groben Übersetzung von Muns Assistenten begnügen mußten. Ich wünschte, ich könnte exakt beschreiben, was genau an Muns Predigten mein Herz anrührte. Es war nicht etwa so, daß er besonders tiefsinnig oder charismatisch gewesen wäre. Tatsächlich war er keins von bei-dem. Die meiste Zeit rief er uns auf, unser Leben dem Dienst an Gott und der Menschheit zu weihen, indem wir moralische und gerechte Personen wurden. Es war ein edler Aufruf. Die meisten von uns, die sich an den Sonntagmorgen in jenem Raum in Belvedere einfanden, glaubten in ihrer Naivität wirklich daran, allein durch ihre Güte die Welt verändern zu können. Unser Glaube hatte etwas Unschuldiges und Sanftmütiges an sich, dem nur selten Rechnung getragen wird, wenn man Mitglieder der Vereinigungskirche als Sektierer verteufelt. Schon möglich, daß wir einer Sekte verfallen waren, aber die meisten von uns waren keine Sektierer, sondern Idealisten.

Während die anderen Mun-Kinder nach New York fuhren, um sich zu amüsieren, buken Un Jin und ich bis spät nachts in der Küche des Haupthauses und plauderten dabei auf Koreanisch. Un Jin war eine hervorragende Köchin und eine gute Seele, so daß sie den Wachleuten, die ein Büro im Keller des Haupthauses hatten, regelmäßig von ihren selbstgebackenen Plätzchen und Käsekuchen mit Schokoladenchips etwas abgab.

Die Kirchenmitglieder, die das Haushaltspersonal stellten, waren es gewohnt, von den Mun-Kindern eher Befehle zu bekommen als Geschenke. Die Wahre Familie behandelte Angestellte wie Leibeigene. Die Küchenschwestern und Kinderfrauen schliefen zu sechst in einem Zimmer unter dem Dach und bekamen lediglich ein kleines Taschengeld, aber kein richtiges Gehalt. Bei den Wachmännern, Gärtnern und Handwerkern auf dem Anwesen sah es nicht viel besser aus. Die Muns vertraten den Standpunkt, daß es für Kirchenmitglieder ein Privileg war, in unmittelbarer Nähe zur Wahren Familie zu leben. Zum Ausgleich für diese Ehre wurden sie auch von den jüngsten Muns herumkommandiert: »Bring mir dies«, »Hol mir jenes«, »Heb meine Sachen auf«, »Mach mein Bett«.

Sun Myung Mun brachte seinen Kindern bei, daß sie kleine Prinzen und Prinzessinnen waren, und sie benahmen sich entsprechend. Es war peinlich mitanzusehen, aber noch verblüffender war, mit welchem Gleichmut die Angestellten die verbalen Demütigungen der Mun-Kinder einsteckten. Wie ich glaubten sie, daß die Wahre Familie vollkommen war. Wenn die Muns etwas an uns zu bemängeln hatten, dann lag das nicht etwa an ihren zu hohen Erwartungen, sondern unweigerlich an unserer eigenen Unzulänglichkeit. In Anbetracht dieser Einstellung war ich um so dankbarer für Un Jins Freundlichkeit. Sie behandelte mich nie von oben herab; sie schien mich um meiner selbst willen zu mögen.

In Jin mißbilligte meine Freundschaft zu ihrer Schwester, konnte aber auch nett zu mir sein, wenn es zu ihrem eigenen Vorteil war. Eines Abends kam sie zu mir und bat mich, ihr ein paar Sachen zu borgen, damit sie sich unbemerkt aus dem Haus schleichen konnte. Ihr eigenes Zimmer lag gleich neben der Suite ihrer Eltern im Herrenhaus, und sie wollte nicht riskieren, ihrem Vater über den Weg zu laufen. »Und warum nicht?« fragte ich. Sie erzählte mir, daß sie kürzlich erst um 4.00 Uhr früh heimgekommen war. Es war noch dunkel gewesen. Sie hatte geglaubt, es sei alles glatt gegangen, aber dann hatte sie in einem Sessel gegenüber von ihrem Zimmer Vaters Schatten gesehen.

Während Sun Myung Mun seine Tochter verprügelt hatte, hatte er ihr versichert, daß er sie aus Liebe züchtige. Es waren nicht die ersten Prügel gewesen, die sie von Vater bezogen hatte. Sie sagte, sie wünschte, sie hätte den Mut, zur Polizei zu gehen und Sun Myung Mun wegen Kindesmißhandlung anzuzeigen. Ich lieh ihr meine beste Jeans und einen weißen Angorapullover und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie geschockt ich von ihrer Geschichte war.

Ebenso wie alles andere in meinem neuen Leben in der Wahren Familie verblüffte mich die Abneigung zwischen den Mun-Kindern und ihren Eltern. Ich mußte schon sehr früh meine Vorstellung von den Muns als einer herzlichen, liebevollen Familie revidieren. Sofern sie spirituelle Vollkommenheit erlangt hatten, war diese im täglichen Umgang miteinander schwer auszumachen. Beispielsweise wurde auch von den jüngsten Kindern erwartet, daß sie sich sonntags um 5.00 Uhr früh zum Gelöbnis einfanden. Die kleinsten waren oft noch ganz verschlafen und entsprechend unleidlich. Wir Frauen verbrachten regelmäßig die ersten Minuten damit, die Kinder zu beruhigen. Reverend Mun geriet in Rage, wenn uns das nicht gleich gelang. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich zusammenzuckte, als ich zum erstenmal erlebte, wie Sun Myung Mun seine Kinder schlug, damit sie still waren. Natürlich erreichte er mit seinen Schlägen nur, daß sie um so lauter schrien.

Hyo Jin machte keinen Hehl aus seiner Verachtung für Vater und Mutter. Er schien in ihnen nur nützliche Goldesel zu sehen. Als wir heirateten, hatten wir kein Bankkonto oder ein regelmäßiges Einkommen. Mutter gab uns sporadisch Geld, 1000 Dollar hier, 2000 Dollar da. An Geburtstagen oder Kirchenfeiertagen kamen japanische und andere Kirchenführer auf das Anwesen mit Tausenden von Dollar als Geschenk für die Wahre Familie. Das Geld wanderte direkt in den Safe in Mrs. Muns Schlafzimmerschrank.

Später erzählte mir Mrs. Mun, daß die Spendensammler in Japan beauftragt worden wären, Geld für den Unterhalt von Hyo Jins Familie aufzubringen, und daß künftig regelmäßig Gelder zu diesem Zweck eingehen würden. Ich hatte keine Ahnung, wie so etwas funktionierte. Das Geld landete auch nicht direkt bei uns. Mitte der achtziger Jahre wurden Gelder, die auf das Spendenkonto der Wahren Familie eingezahlt wurden, jeden Monat telegraphisch an Hyo Jin und die anderen erwachsenen Mun-Kinder überwiesen. Hyo Jin bekam etwa 7000 Dollar im Monat, die auf das gemeinsame Konto eingezahlt wurden, das wir bei der First Fidelity Bank in Tarrytown eingerichtet hatten. Aus welchen Quellen außerhalb von Japan dieses Geld sonst noch stammte, habe ich nie erfahren.

Hyo Jin bettelte seine Mutter regelmäßig um größere Geldsummen an. Soweit ich weiß, sagte sie nie nein. Er hortete sein Geld in unserem Schlafzimmerschrank und nahm sich davon, wenn er zu seinen Sauftouren in die Stadt fuhr.

Ich war starr vor Schreck, als er eines Abends, als er sich für einen seiner Ausflüge nach Manhattan zurechtmachte, plötzlich anfing herumzuschreien und mit Gegenständen um sich zu werfen. »Ich bringe dich um, du Schlampe«, brüllte Hyo Jin, während er den ganzen Schrank durchwühlte und dabei Kleider und Krawatten von Bügeln riß. »Was habe ich denn getan?« fragte ich ängstlich. »Nicht du, Dummkopf. Mutter. Sie versucht, mein Leben zu ruinieren.« Sein Geld war verschwunden. Er nahm an, daß Mutter gekommen war und es an sich genommen hatte, um seinen Alkoholkonsum einzuschränken. Ich bezweifelte das. Nichts deutete darauf hin, daß Vater oder Mutter versuchten, irgendeinen Einfluß auf ihre ausschweifenden Kinder zu nehmen.

Als ich seine zerknitterten Sachen vom Boden aufhob, fand ich ein Geldbündel auf dem Schrankboden, eingeklemmt zwischen zwei Schuhen. Es mußte aus einer Jackentasche gefallen sein. Ich zählte über 6000 Dollar. Hyo Jin riß mir das Geld aus der Hand und fuhr fort, Mutter aufs übelste zu beschimpfen, als er nach draußen stürmte, wobei er fast die Tür aus den Angeln riß.

Die Schule war trotz aller Schwierigkeiten für mich eine Oase der Normalität verglichen mit dem Chaos im Cottage House. Im Englischunterricht lernte ich endlose Wortschatzlisten auswendig, ohne zu wissen, was sie bedeuteten. Im Biologieunterricht starrte ich ausdruckslos vor mich hin, wenn der Lehrer mich direkt ansprach, und die ganze Klasse amüsierte sich königlich darüber, daß ich kein Wort verstand. Nur in Mathematik war ein Anflug der guten Schülerin zu spüren, die ich einst gewesen war. In diesen 40 Minuten sprachen wir alle die universelle Sprache der Zahlen. Ich war erst im 10. Schuljahr, nahm jedoch am Algebraunterricht der 12. Klasse teil, die jetzt erst Dinge lernte, die ich in Korea schon in der vierten Klasse beherrscht hatte.

Mittags saß ich mit anderen Gesegneten Kindern aus Korea zusammen, und manchmal lernte ich auch mit ihnen zusammen. Meine Stellung als Ehefrau Hyo Jin Muns verlieh unserer Beziehung jedoch eine Förmlichkeit, die wahrer Freundschaft im Wege stand. Dieser Tisch in der Cafeteria war nur ein weiterer Ort, an dem ich nicht wirklich dazugehörte. Eines Nachmittags kamen zwei koreanische Klassenkameradinnen zum Lernen zu mir ins Cottage House. Sie baten mich, ihnen das Haus zu zeigen. Ich zeigte ihnen den Übungsraum, der mit Gitarren, Verstärkern und Schlagzeug der »U Band« vollgestopft war, dann zeigte ich ihnen das Schlafzimmer und mein Arbeitszimmer, in dem Mrs. Mun einen Schreibtisch und Bücherregale für mich hatte aufstellen lassen.

»Aber wo schläfst du?« fragte eins der Mädchen. »Im Schlafzimmer natürlich«, entgegnete ich und realisierte zu spät, daß dort nur das eine Doppelbett stand. Als Kirchenmitglieder wußten sie von meiner Ehe mit Hyo Jin Mun, aber sie mußten angenommen haben, daß sie noch nicht vollzogen worden war. Mir wurde klar, daß das gar keine so dumme Vermutung war. Im Staat New York galt man erst mit 17 als heiratsfähig. Strenggenommen hätte Hyo Jin wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen verhaftet werden können.

Meine Verlegenheit verwandelte sich in Scham, als eins der Mädchen den Fernseher einschaltete, und über Video ein Porno lief. Bisher hatte ich nie mitbekommen, daß Hyo Jin den Videorecorder überhaupt benutzt hatte. Ich sah im Fernsehschrank nach und stellte fest, daß er voll war mit solchen Filmen. Hyo Jin lachte nur, als ich ihn später auf die Pornos ansprach. Er stehe eben auf sexuelle Abwechslung, im wahren Leben wie im Film, entgegnete er spitz. Ich sollte wissen, daß eine Frau ihm niemals genügen würde, schon gar nicht ein so verklemmtes und frommes Ding wie ich.

Hyo Jin beklagte sich sogar bei seiner Mutter über meine mangelnde sexuelle Reife. Sie rief mich eines Tages zu sich, um mit mir über meine ehelichen Pflichten zu sprechen. Es war ein unangenehmes Gespräch. Ich hatte Mühe, ihren beschönigenden Beschreibungen zu folgen und zu begreifen, was sie damit meinte, daß ich tagsüber eine Dame und nachts eine Frau sein solle. Tagsüber müßten wir unseren Ehemännern Freundinnen sein, aber nachts wäre es unsere Pflicht, ihre Phantasien zu erfüllen, sonst würden sie sich anderweitig umsehen. Wenn ein Mann sich anderweitig umsah, sprach das für die Unfähigkeit seiner Frau, ihn zufriedenzustellen. Ich müsse mir mehr Mühe geben, die Art Frau zu sein, die Hyo Jin sich wünsche. Ich war verwirrt. Hatte Sun Myung Mun mich nicht eben wegen meiner Unschuld ausgewählt? Wurde jetzt von mir erwartet, die Verführerin zu spielen? Mit fünfzehn?

Allmählich begann ich, die Wahrheit zu erkennen: Unsere Ehe war eine Farce. Hyo Jin hatte zwar in die Hochzeit eingewilligt, dachte aber nicht daran, etwas an dem Leben zu ändern, das er vor der Ehe geführt hatte. Ich hegte den Verdacht, daß Hyo Jin mit den Kellnerinnen der koreanischen Bars schlief, auch wenn ich hierfür keine Beweise hatte. Wenn ich ihn fragte, was er machte, wenn er die ganze Nacht wegblieb, entgegnete er, daß es unziemlich wäre, dem Sohn des Messias solcherlei Fragen zu stellen. Ich lag wach im Bett und bildete mir ein, seinen Wagen zu hören, während es tatsächlich nur das Rauschen des Windes war.

Schon bald nach unserer Hochzeit bekam ich einen Beweis für seinen promiskuitiven Lebensstil, war aber zu naiv, diesen als solchen zu erkennen. Wenige Wochen nach der Trauung bildeten sich schmerzhafte Blasen an meinen Genitalien. Ich hatte keine Ahnung, was diesen Ausschlag hervorgerufen haben mochte, dachte vielmehr, das seine vielleicht eine normale Folge des Geschlechtsverkehrs oder auch eine nervöse Reaktion.

Natürlich war es nichts dergleichen. Hyo Jin hatte mich mit einem Herpes-Virus angesteckt. Noch Jahre später mußte ich mich Laserbehandlungen unterziehen und Tinkturen auftragen, jedesmal, wenn der Ausschlag wiederkehrte. Nach einer Laserbehandlung, bei der die Haut an dieser empfindlichen Stelle verbrannt worden war, verbrachte ich eine ganze Nacht in der warmen Wanne. Hyo Jin sah mich in jener Nacht vor Schmerzen weinen, ohne mir je zu verraten, welchem Umstand ich diese Qualen verdankte. Es sollte noch Jahre dauern, bis meine Gynäkologin mich darüber aufklärte, daß ich an einer durch sexuellen Verkehr übertragenen Geschlechtskrankheit litt. Sie sagte, ich müsse das wissen, weil Hyo Jins Lebenswandel im Zeitalter von AIDS nicht nur sein Seelenheil gefährde, sondern auch mein Leben.

Im Frühjahr 1982 wußte ich jedoch nur, daß Hyo Jin mich nicht liebte. Schon Wochen nach der Hochzeit eröffnete er mir, daß wir besser getrennte Wege gehen sollten, bevor wir einander unglücklich machten. »Das können wir nicht«, entgegnete ich schockiert und unter Tränen. »Vater hat uns zusammengeführt. Er sagt, wir müssen Zusammenleben. Wir können uns nicht einfach trennen.« Da erst sagte mir Hyo Jin, daß er gegen die Wahl seiner Eltern protestiert habe, daß er nie mit mir verheiratet werden wollte und der Trauung nur seinen Eltern zuliebe zugestimmt hatte. Er habe eine Freundin in Korea und beabsichtige nicht, diese aufzugeben, erzählte er mir.

Ich weiß nicht, was schmerzlicher war, seine Untreue oder die sadistische Freude, mit der er sie mir unter die Nase rieb. Mit ein bißchen Diskretion hätte Hyo Jin mit seiner Freundin telefonieren können, wenn er allein war. Statt dessen bereitete es ihm ein grausames Vergnügen, sie in meiner Gegenwart vom Wohnzimmer aus anzurufen. Wenn er mich in East Garden isolieren wollte, sprach er mit seinen Freunden und seiner Familie Englisch. Wenn er mir bei uns zu Hause wehtun wollte, sprach er mit seiner Freundin Koreanisch. »Du weißt, mit wem ich telefoniere, also verschwinde«, lachte er, bevor er dem Mädchen am anderen Ende der Leitung seine Liebe versicherte, so laut, daß ich es hören mußte.

Ein paar Wochen nach unserer Hochzeit flog Hyo Jin nach Seoul, ohne mir zu sagen, warum oder für wie lange. Er blieb Monate fort. Er war nicht da, als mir eines Morgens auf der Geburtstagsfeier eines seiner jüngeren Geschwister plötzlich übel wurde. Meine Mutter half mir hinaus; sie wußte instinktiv, was mit mir los war, während ich es nicht einmal im Entferntesten ahnte. Ich war schwanger.

Ich reagierte auf diese Nachricht wie das Kind, das ich noch war. Wie sollte ich die Schule beenden? Was würden die anderen sagen? Die viel wichtigeren Fragen zu meiner mangelnden Vorbereitung und dem kritischen Stand meiner Ehe waren zu schwerwiegend, sie überhaupt erst anzusprechen. Es war leichter, mir darüber den Kopf zu zerbrechen, ob ich das Schuljahr abschließen konnte, ohne daß meine Klassenkameraden etwas von meinem Zustand mitbekamen.

Die Nachricht seiner bevorstehenden Vaterschaft bewog Hyo Jin nicht etwa, seinen Seoul-Aufenthalt abzubrechen. Er rief noch nicht einmal an oder schrieb. Einmal rief ich ihn an, aber er schimpfte nur, daß ich Vaters Geld verschwende. Er legte so abrupt auf, daß die koreanische Vermittlung mir erst mitteilen mußte, daß das Gespräch beendet und nicht unterbrochen worden sei. Seine Reaktion war für mich ein Schlag ins Gesicht. Als er dann doch anrief, um sich nach dem Verlauf der Schwangerschaft zu erkundigen, sprach Hyo Jin mit Peter Kim und nicht mit mir. Ich wollte eines Morgens im Frühjahr gerade die Küche betreten, als ich zufällig hörte, wie Peter Kim meiner Mutter den Inhalt des Telefonats wiedergab. Ich lauschte mit angehaltenem Atem. Was würde als nächstes passieren? Aber nicht einmal ich war auf das vorbereitet, was ich dann hörte.

Hyo Jin hatte Peter Kim mitgeteilt, daß er, da wir ja nicht rechtmäßig verheiratet seien, mir gegenüber keinerlei Verpflichtungen habe. Er wollte seine Freundin heiraten, die kein Kirchenmitglied war. Wenn Reverend Mun und Mrs. Mun sich meiner und des Babys annehmen wollten, wäre das allein ihre Sache. Er wollte die Trennung. Ich bekam Angst, als ich Peter Kim und meiner Mutter zuhörte, die nur sehr wenig sagte. Konnte Hyo Jin das tatsächlich tun? Was würde aus mir und dem Baby werden? Wie konnte Hyo Jin trennen, was Sun Myung Mun zusammengeführt hatte?

Hyo Jin kehrte kurz darauf aus Korea zurück und zog ohne eine Wort der Entschuldigung oder der Erklärung aus dem Cottage House aus. »Ich bin sicher, daß Vater sich um dich und das Baby kümmern wird«, sagte er kalt. Er besaß sogar die Frechheit anzurufen, um mir mitzuteilen, daß er später am Abend vorbeikommen werde, um ein Mittel gegen seinen Herpes zu holen. Ich war so wütend, daß ich sämtliche Glühbirnen im ganzen Haus losschraubte, damit er sich im Dunkeln bis zum Medizinschränkchen tasten mußte. Aber die Befriedigung, die mir dieser kindische Streit bereitete, hielt nicht lange vor. Er war fort, und ich blieb schwanger allein zurück.

Ich hatte keine Ahnung, wo er war. Erst später erfuhr ich, daß er seiner »Verlobten« von dem Geld, das wir zur Hochzeit geschenkt bekommen hatten, ein Flugticket bezahlt und für sie beide ein Appartement in Manhattan gemietet hatte. Nach seiner Rückkehr aus Korea hatte er seinen Eltern mitgeteilt, daß er gedenke, künftig mit der Frau seiner Wahl zusammenzuleben. Keiner von beiden versuchte, ihn umzustimmen. Seit langem schon hatte ich die Vermutung, daß die Muns Angst vor ihrem Sohn hatten. Hyo Jin war so aufbrausend und jähzornig, daß seine Eltern jeder Konfrontation möglichst aus dem Wege gingen.

Statt dessen riefen die Wahren Eltern mich zu sich. Ich verneigte mich vor ihnen und verharrte dann mit gesenktem Blick auf den Knien. Ich hoffte, daß sie mich umarmen und mir Mut Zureden würden. Aber statt dessen brüllte Reverend Mun mich an. Ich hatte ihn noch nie so wütend gesehen; sein Gesicht war verzerrt und hochrot vor Wut. Wie ich das hätte zulassen können? Was ich getan hätte, um Hyo Jin derart gegen mich aufzubringen? Warum ich ihn nicht glücklich machen könne? Ich hob nicht einmal den Kopf, aus Angst, Sun Myung Mun würde mich schlagen. Mrs. Mun versuchte, ihn zu beruhigen, aber Vater ließ sich nicht beschwichtigen. Ich hätte als Ehefrau versagt. Ich hätte als Frau versagt. Es wäre allein meine Schuld, daß Hyo Jin mich verlassen habe. Warum ich Hyo Jin nicht gesagt hätte, daß ich mit ihm gehen würde?

Meine eigenen Gedanken machten wenig Sinn. Wie sollte ich mit ihm gehen? Sollte ich mit ihm und seiner Freundin Zusammenleben? Ich mußte die High-School abschließen. Ich war verängstigt angesichts von Vaters Wutanfall, war aber auch verletzt von der ungerechten Schuldzuweisung. Warum war es meine Schuld, daß Hyo Jin sich eine Geliebte genommen hatte? Warum machte man mich dafür verantwortlich, daß Muns Sohn sich den Wünschen seines Vaters widersetzte? Ich sprach diese Gedanken natürlich nicht aus, aber sie waren da. Von mir wurde erwartet, demütig zu sein, ihren Zorn hinzunehmen und nur dann zu sprechen, wenn man mich dazu aufforderte. Heiße Tränen liefen mir über die Wangen. Ich blieb auf den Knien und schwieg im Angesicht des Zweiten Messias, aber innerlich schäumte ich wegen dieser ungerechten Anschuldigungen. »Hinaus«, schrie er, und ich rappelte mich auf. Blind von Tränen rannte ich den ganzen Weg zurück zum Cottage House.

Ich fühlte mich schrecklich allein. Meine Mutter war mir keine Hilfe. Sie war in demselben Glaubenssystem gefangen, das uns alle lähmte. Wenn Sun Myung Mun der Messias war, mußten wir uns seinem Willen beugen. Keiner von uns konnte frei entscheiden. Es war mein Schicksal, mich in dieser Situation wiederzufinden. Ich mußte damit fertig werden, so gut es ging. Nur Gott konnte mir helfen. In meinem Zimmer im Cottage House weinte ich und betete laut darum, daß Gott mich nicht verlassen möge. Wenn er meinen Schmerz nicht lindem konnte, betete ich, daß er mir wenigstens die Kraft gab, ihn zu ertragen.

Ich verachtete mich selbst für meine Tränen der Schwäche, schämte mich, vor Gott zu weinen. Er hatte mich für diese heilige Mission auserwählt, und ich ließ ihn nicht nur im Stich, sondern ertrank darüber hinaus in Selbstmitleid. Ich betete zu Gott, meinen Glauben zu festigen und mir die Demut zu gewähren, das Leid zu ertragen, das er mir auferlegte.

Bei einer dieser Situationen war ohne mein Wissen meine Mutter unten im Haus und hörte meine Gebete. Als ich herunterkam, waren ihre Augen ebenso gerötet wie meine. Es muß hart für sie gewesen sein, ohnmächtig mitanzusehen, wie ihre Tochter so sehr litt. Allerdings kann ich nur mutmaßen, was ihr Inneres anbelangt. Wir sprachen nie über unsere Gefühle. Vielleicht fürchteten wir, in noch tiefere Verzweiflung zu verfallen, wenn wir einander unseren Schmerz eingestanden.

Ich lernte schon sehr früh in meiner Ehe, daß meine Gefühle zu verbergen der Schlüssel zum Selbsterhalt war. Tagsüber gab ich vor, das Leben eines scheinbar sorglosen Schulmädchens zu führen, und die Abende verbrachte ich kniend in verzweifeltem Gebet. In jenem Frühjahr stapfte ich rastlos um die kreisrunde Auffahrt vor dem Haus herum in dem Bestreben, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Eines Tages gesellte sich hierbei einer von Sun Myung Muns Jüngern zu mir. Niemand innerhalb der Mun-Familie hatte mir jemals Trost gespendet. Von ihnen erfuhr ich immer nur Schuldzuweisungen, die ich pflichtschuldigst hinnahm. Dieser Mann jedoch schritt neben mir her und sagte, ich solle mir keine Sorgen machen. Meine Deprimiertheit könne dem Baby schaden, warnte er. Er versicherte mir, daß Hyo Jin zur Vernunft kommen würde. Ich schämte mich, daß meine Demütigung so weithin bekannt war, war aber dennoch dankbar für die freundliche Zuwendung eines angesehenen Kirchenmitglieds.

Im Frühling kam endlich mein Bruder Jin zu Je Jin nach Belvedere. Er war kaum eingetroffen, als sich folgende Krise ereignete: Eines Nachmittags rief Sun Myung Mun In Jin, Jin und mich zu sich in sein Zimmer. »Sollen wir Hyo Jin wegen dem, was er getan hat, aus der Familie verstoßen?« fragte Reverend Mun uns alle, obgleich offensichtlich war, daß er nur von seiner Tochter In Jin eine Antwort erwartete. In Jin entgegnete, daß Hyo Jin jung und ungestüm wäre, jedoch auf die Stimme der Vernunft hören und zu gegebener Zeit nach Hause zurückkehren würde. Es wäre für die Kirche und die Wahre Familie schädlich, den Erben der Vereinigungskirche auszustoßen. Jin stimmte dem zu. Ich schwieg.

Wenn Hyo Jin zurückkehrte, sagte Vater, müßten wir alle ihm verzeihen und ihm helfen, sich seiner Verantwortung bewußt zu werden. Vor allem ich dürfe ihm nicht grollen, wies mich Reverend Mun an. Er gab zu, daß ich eine schwere Zeit durchmachte, meinte aber, daß ich es dem Baby schuldig wäre, zu Gott zu beten, damit er mein Herz für meinen Mann erweiche. Er und Mrs. Mun würden Hyo Jin zurückholen. Wir alle sollten ihm bei seiner Rückkehr einen warmen Empfang bereiten.

Am nächsten Morgen fuhr Mrs. Mun mit einer der Gebetsdamen zu einem Restaurant in Tarrytown. Was ich nicht wußte, war, daß Mutter dort ein Treffen mit Hyo Jins Geliebter arrangiert hatte. Bereit, um meinen Mann zu kämpfen, betrat sie das Lokal. Sie teilte Mrs. Mun mit, daß sie nicht zulassen werde, daß die Religion sich zwischen sie beide stellte, daß Hyo Jin bereit wäre, aus Liebe zu ihr die Vereinigungskirche zu verlassen.

Mir wurde berichtet, ihrerseits sei es ein recht hitziger Auftritt gewesen. Aber seine Freundin verließ das Restaurant mit prall gefüllter Brieftasche und einem Flugticket nach Kalifornien. Die Muns bestachen sie und schickten sie nach Los Angeles, in die Obhut einer Koreanerin, von wo sie sich jedoch schon bald absetzte, um ihre eigenen Wege zu gehen.

Die Muns waren sehr zufrieden mit sich. Sie hatten Hyo Jin nach East Garden zurückgeholt. Der Grund, weshalb er das Anwesen ursprünglich verlassen hatte, wurde schlicht ignoriert. Es interessierte sie auch nicht, daß er noch zorniger zurückkehrte als er es bei seinem Weggang gewesen war. Nach außen hin war wieder alles beim alten, und der Schein war für Sun Myung Mun und Hak Ja Han Mun das einzige, was zählte.

Eines Morgens nach Hyo Jins Rückkehr betrat ich das Haupthaus, um wie gewöhnlich die Wahren Eltern beim Frühstück zu begrüßen. Überrascht sah ich, daß die Buddha-Dame bei ihnen war, jene Wahrsagerin, die meine Verbindung mit Hyo Jin im vergangenen Herbst in Seoul befürwortet hatte. Mrs. Mun drängte sie, uns zu sagen, was die Zukunft für Hyo Jin und mich bereithielt. »Nansook ist ein geflügeltes weißes Pferd. Hyo Jin ist ein Tiger. Das ist eine gute Verbindung«, sagte sie. »Nansook wird es schwer haben im Leben, aber ihr Schicksal ist ein sehr gutes. Hyo Jins Zukunft ist mit der ihren verknüpft. Er wird nur hoch hinaus kommen, wenn er sich auf Nansooks Rücken schwingt und sie sich gemeinsam in die Lüfte erheben.«

Mrs. Mun war so erfreut von der optimistischen Voraussage der Buddha-Dame, daß sie den Raum verließ und mit einem Smaragdring mit Diamanten für mich zurückkehrte -die Wahrsagerin hatte ihr gesagt, grün sei meine Glücksfarbe. Einige Tage später suchte die Wahrsagerin mich heimlich im Cottage House auf. »Bitte denk an mich, wenn du eine mächtige Frau geworden bist«, sagte sie. »Denk an das Glück, das ich für dich vorausgesagt habe.«

Aber das, was noch vor mir lag, hatte nichts mit den guten Voraussagen der Buddha-Dame gemein. Hyo Jin war wütend, daß seine Eltern sich in sein Liebesleben eingemischt hatten, aber er war auch ein Realist. Er konnte es sich nicht leisten, seiner Freundin nach Kalifornien zu folgen. Er hatte kein Geld, keinen Job, keinen Schulabschluß, keine andere Einkommensquelle als seine Eltern. Letztendlich gab er klein bei. Wahre Liebe verblaßte angesichts der Aussicht, daß sein Vater ihm den Geldhahn zudrehte.

Hyo Jin und seine Freundin hielten noch Jahre schriftlich Kontakt. Oft ließ er ihre Liebesbriefe offen herumliegen, damit ich sie fand. Als Hyo Jin 1984 erfuhr, daß sie in Los Angeles mit einem anderen Mann zusammengezogen war, stürzte ihn dies in solche Verzweiflung, daß er sich den Schädel kahlscheren ließ.

Im Frühling 1982 war er jedoch mehr zornig als traurig ins Cottage House heimgekehrt. Die Gleichgültigkeit, die Hyo Jin mir während des Winters entgegengebracht hatte, verhärtete sich zu etwas viel Kälterem, viel Bedrohlicherem. Ich verkörperte die Ausweglosigkeit seines Lebens. Ich stand für seine Abhängigkeit von den zwei Menschen, die er auf der Welt gleichzeitig am meisten brauchte und am meisten verachtete: seine Eltern. Hyo Jin Mun sollte mich all die Jahre, die wir noch zusammen sein würden, dafür bestrafen.



Ich mit unserem ersten Baby; Hyo-Jin hält Sun Myung Muns jüngstes Kind auf dem Arm.


Deutsch

Nansook Hong – Ich schaue nicht zurück, Teil 1

Nansook Hong – Ich schaue nicht zurück, Teil 3

Nansook Hong – Ich schaue nicht zurück, Teil 4

Niederschrift von Sam Parks Video


Englisch

Nansook Hong gives three interviews

Nansook Hong – In the Shadow of the Moons, part 1

Nansook Hong – In the Shadow of the Moons, part 2

Nansook Hong – In the Shadow of the Moons, part 3

Nansook Hong – In the Shadow of the Moons, part 4

Whitney Houston a no-show at Moon’s mass wedding ceremony